Kunst im Dialog

Interview mit dem Künstler Christian Rösner
Text: Andreas Obermann Photos: Andreas Obermann
Christian Rösner

Du hast aktuell eine Einzelausstellung in der Lobby des Karl August. Wie war die Vernissage?

Es war ein sehr schöner Abend. Es kamen viele interessierte Menschen, die mir sogar bei meiner langen Einführungsrede aufmerksam zugehört haben. Das war für mich ein wunderbares Erlebnis. Besonders gefreut hat mich, dass einige Besucher*innen auch Werke erwerben wollten – das ist natürlich immer wichtig. Insgesamt ist das Konzept der Ausstellung aufgegangen: Die Kunst in einem eigentlich kunstfernen Raum wie einer Hotellobby zu platzieren und so zu integrieren, dass sie den Raum bereichert und die Menschen überzeugt. 

Was unterscheidet für Dich eine Ausstellung in einem klassischen Museum oder einer Galerie von einer Präsentation wie hier im Karl August?

Der Unterschied ist groß. Im Museum oder in der Galerie kommen Menschen, die sich bewusst für Kunst interessieren. Sie öffnen die Tür, weil sie gezielt Kunst sehen wollen – vielleicht sogar mit der Absicht, etwas zu kaufen. Eine Galerie hat ja immer auch einen kommerziellen Rahmen. In einer Hotellobby ist das anders.

Hier sitzen Menschen, die sich nicht unbedingt mit Kunst beschäftigen wollten. Und plötzlich begegnen sie meiner Arbeit trotzdem. Das schafft einen offenen Zugang – man muss nicht, man kann aber. Genau daraus entstehen oft sehr schöne Begegnungen. Das Besondere ist, dass sich die Kunst hier in den Lebensraum integriert.

Niemand fühlt sich verpflichtet, etwas kaufen zu müssen. Stattdessen können die Besucher ganz entspannt erleben, wie sich ein Werk in einer wohnlichen, alltäglichen Umgebung anfühlt. Viele merken dann: Das könnte auch bei mir zu Hause stehen oder hängen. Und genau dieser Gedanke macht für mich den Reiz solcher Ausstellungen aus. 

Christian Rösner

Welche Arbeiten zeigst Du in der Lobby?

Ein Hauptarbeit ist der Hundereiter, eine ältere Skulptur, die für mich aber nichts an Aktualität verloren hat. Ich habe ihn so positioniert, dass er die Länge des Raumes unterbricht und strukturiert – ähnlich wie das Blumenarrangement, das dort regelmäßig gestaltet wird. Dazu hängen zwei große Holzschnitte, etwa 2 x 3 Meter, vorne und hinten im Raum. Sie sind so groß, dass sie den Blick von weitem auf sich ziehen und den Raum optisch öffnen.

Daneben gibt es kleinere Figuren, die wie ein Band den Raum begleiten. Diese Kleinplastiken entstehen oft als erste dreidimensionale Entwürfe nach einer Zeichnung, sind aber auch autonome Werke. Außerdem hängen an einer dunklen Holzwand Radierungen, deren feine Schwarz Weiß-Linien einen schönen Kontrast zu den großen Holzschnitten bilden. 

Welche Idee steckt hinter dem Hundereiter?

Die Figur entstand aus der Frage, was wir Menschen eigentlich lenken, wenn wir uns auf unseren Intellekt berufen. Wir erfüllen oft nur sehr archaische Bedürfnisse – Essen, Partnerschaft, Schutz – und darüber hinaus leisten wir keinen besonders guten Job. Der kleine Reiter auf dem großen Hund steht für dieses Verhältnis: Der Mensch glaubt, zu lenken, sitzt aber eigentlich auf einem Tier, das selbst instinkthaft handelt. Für mich ist der Hund ein Symbol dafür, wie nah wir trotz aller Kultur am Tierischen sind. 

Christian Rösner

Dann zeigst du noch eine Skulpturengruppe mit Bären.

Das war eine neue Arbeitsweise für mich. Ich habe die Bären in Keramik hohl aufgebaut – von unten nach oben, Schicht für Schicht. Anders als beim klassischen Modellieren konnte ich die Richtung nicht nachträglich verändern, sondern musste den Prozess laufen lassen. Das war ein experimentelles Arbeiten, ein Zulassen von Unsicherheit. 

Du hast auch kleine Figuren an der Seite platziert.

Diese kleinen Figuren entstehen schon seit vielen Jahren und sind mir immer noch sehr nah. Sie sind für mich eine Möglichkeit, Raum, Form und Proportionen im kleinen Maßstab auszuprobieren. Meistens entwickle ich zunächst eine Idee zeichnerisch – und die Kleinplastik ist dann der erste Entwurf im Dreidimensionalen. Manchmal dient sie als Grundlage für eine große Holzfigur, die später entsteht. Aber das muss nicht sein: Viele dieser kleinen Arbeiten sind eigenständige, autonome Skulpturen. In der Ausstellung begleiten sie den Raum wie ein Band und schaffen eine eigene, fast erzählerische Ebene. 

Es steht bereits eine fest installierte Skulptur von dir im Karl August. Hat das Deine Auswahl der Werke für die Ausstellung beeinflusst?

Auf jeden Fall. Die Fische, die ich hier zeige, stehen in einem direkten Zusammenhang mit dieser Arbeit – sie sind fast zeitgleich entstanden und greifen die Idee noch einmal auf. Es geht dabei um das Verhältnis von Figur und Raum: Der Kopf des Fisches lehnt sich statisch an ein Element an, während der Körper so wirkt, als würde er im Wasser schweben.

Die Installation bildet eine Art Klammer: Vorne der Hai, hinten die Fische – beide tun so, als würden sie schwimmen. Dadurch entsteht eine Horizontale, die den Raum belebt. Man hat das Gefühl, in eine Unterwassersituation einzutreten.

Das ist für mich besonders spannend, weil es gleich mehrere Ebenen anspricht. Zum einen gibt es hier in der Region ja auch eine unmittelbare Nähe zum Wasser, die sich gut in die Arbeit einfügt. Zum anderen schwingt ein fast utopischer oder kritischer Gedanke mit: Vielleicht war dieser Ort früher tatsächlich vom Wasser bedeckt. Vielleicht wird er es eines Tages wieder sein. Viele meiner Arbeiten spielen mit dieser Vorstellung – dass wir mit unserem Verhalten längst im Begriff sind, „unter Wasser zu stehen“. 

Du verwendest sehr viele unterschiedliche Materialien in Deinen Arbeiten. Welche sind das, und warum sind sie für Dich wichtig?

Material und Handwerklichkeit sind für mich immer auch eine Möglichkeit, neue Herausforderungen anzunehmen. Ich arbeite in Wellen: Nach der Zeichnung entstehen oft Druckgrafiken – mal eine Phase mit Holzschnitten, bei denen ich mit der Motorsäge arbeite, mal eine Serie von Radierungen in Tiefdrucktechnik. Dann wiederum zieht es mich in Richtung Malerei, wie zuletzt auf Keramikschalen, die ich mit dem Pinsel sehr malerisch gestalte.

Daneben gibt es farbige Bilder, die ich diesmal nicht gezeigt habe, und natürlich die Skulpturen: Holzfiguren, die häufig aus kleinen Modellen entstehen. Wenn ich eine kleine Bronzefigur ins Große übersetze, wird daraus ein komplexes, fast bauliches Objekt, weil statische Elemente notwendig werden. So bleibt die Holzfigur für mich ein zentrales Thema. Bronze spielt dabei eine doppelte Rolle: Einerseits als traditionelles Material mit jahrtausendealter Geschichte, das mich fasziniert, andererseits als Möglichkeit, eine Arbeit dauerhaft für den Außenraum umzusetzen.

Wenn es rauer und archaischer sein darf, arbeite ich mit Beton. Er nimmt die Form genauso exakt auf wie Bronze, wirkt aber durch seine bauliche Ausstrahlung völlig anders. Ein Beispiel sind die Fische in der Ausstellung: Sie sind aus Beton gegossen und fügen sich perfekt in die Betonsäule ein – als würden sie tatsächlich im Raum schwimmen. 

Du hast in letzter Zeit auch mit Keramik gearbeitet.

Keramik ist für mich eine sehr schöne und konzentrierte Art zu arbeiten. Bestimmte Gefühlsregungen oder emotionale Stimmungen lassen sich darin besonders gut ausdrücken. Wenn ich eine kleine Bronzefigur oder eine Keramikschale mache, steckt dahinter eine ähnliche Haltung: eine ruhige, geschlossene Technik, die Kraft in der Einfachheit sucht.

Die großen Schalen entstehen in Zusammenarbeit mit einer Keramikmeisterin. Sie dreht die Formen nach meinen Vorstellungen – und obwohl es so leicht aussieht, steckt eine enorme Schwierigkeit darin. In der scheinbaren Einfachheit einer Schale liegt sehr viel Spannung: Stimmt die Proportion, wirkt sie überzeugend. Wenn nicht, verliert sie sofort an Kraft.

Mich interessiert vor allem die Bemalung der Schalen. Sie ist für mich wie das Arbeiten mit der Motorsäge: unmittelbar, direkt, entscheidungsfreudig. Welchen Pinsel nehme ich? Wo setze ich den Strich? Wie mutig gehe ich in die Form hinein? Diese Spontaneität macht den Reiz aus – eine Mischung aus Kontrolle und Risiko, die mich sehr anspricht. 

Wie unterscheiden sich für Dich Unikate und Drucke, die in Auflagen entstehen?

Das ist ein wichtiges Thema für mich. Viele meiner Skulpturen entstehen auch in kleinen Auflagen, zum Beispiel in Bronze. Das ermöglicht mir, als Bildhauer zu existieren, ohne meine wichtigsten Arbeiten aus der Hand geben zu müssen. Druckgrafik funktioniert ähnlich: Mit der selbstgebauten großen Presse kann ich Holzschnitte in monumentalem Format herstellen. Die Mehrfachproduktion erlaubt es mir, die besten Arbeiten länger mit mir zu führen und mehrfach auszustellen. 

Das heißt, wie wirst Du inspiriert?

Für mich ist das Leben wie ein Fluss. Ich sitze darin wie in einem Boot – manchmal habe ich ein Paddel und kann steuern, manchmal treibe ich einfach mit. Manchmal kommt etwas vorbeigeschwommen, und ich greife zu. Manchmal lasse ich es auch vorüberziehen. Inspiration ist für mich genau dieses Wechselspiel aus Kontrolle und Hingabe. Ich weiß nie ganz genau, wohin der Fluss mich führt – aber mir gefällt es, zu paddeln. 

Wie lange arbeitest Du schon als Künstler?

Ich habe mein Studium an der Akademie 1998 abgeschlossen, also bin ich inzwischen fast 30 Jahre als Künstler tätig. Aber eigentlich begleitet mich die Kunst schon mein ganzes Leben. Schon als Kind habe ich geschnitzt – kleine Tiere, die ich bis heute in einer Kiste aufbewahre. Das finde ich selbst faszinierend: Dass ich damals wie selbstverständlich etwas tat, das mein späteres Leben prägen würde. In gewisser Weise empfinde ich das als Geschenk. 

Hast Du diese frühen Arbeiten noch?

Ja, alle. Und sie bedeuten mir viel, weil sie ein Teil meiner eigenen Geschichte sind. Wenn man Kinder hat, sieht man sehr deutlich: Jedes Kind kommt als eigene Persönlichkeit auf die Welt, schon sehr definiert in dem, wer es ist. Genau so war das bei mir. Diese Leidenschaft fürs Gestalten war einfach da. Und im besten Fall bekommt man die Unterstützung, diesen Weg weiterzugehen – durch Zuspruch, Förderung, oder schlicht die Freiheit, das sein zu dürfen, was man ist. Ich hatte dieses Glück. 

Christian Rösner