SI/NO
Interview mit der Künstlerin Juliana OrtizDie Künstlerin Juliana Ortiz lebt und arbeitet in Leipzig. Ihre Kunst ist geprägt von ihrer Herkunft aus Spanien und ihrer Ausbildung zur Kunsttherapeutin. Aktuell kann man sie im Karl August mit ihrer Ausstellung „SI/NO“ sehen. Heute gibt sie uns einen Einblick in ihre Werke und was sie antreibt.
Juliana, fangen wir mal ganz vorne an. Sag uns doch bitte ein paar Worte zu dir, zu deinem Werdegang und deinem Weg hin zur Kunst.
Eigentlich ist es nicht überraschend, dass ich heute als Künstlerin aktiv bin. Ich bin zweisprachig aufgewachsen. Ein Teil meiner Familie lebt in Spanien, wo Kunst eine sehr große Rolle spielt. Als Kind wurde ich stark von den dortigen Kunstwerken und der kreativen Atmosphäre beeinflusst. Ein Besuch im Ludwig Museum in Köln während meiner Grundschulzeit hat dann den Stein ins Rollen gebracht. Dort sah ich eine Ausstellung von August Ludwig Macke und Paul Cézanne, die mich so nachhaltig begeisterte, dass ich sofort meiner Mutter davon erzählte. Sie meldete mich daraufhin direkt zu einem VHS-Kurs für Malerei an.
Daraus ergab sich, dass ich lange Zeit neben der Schule Malkurse besuchte. Als ich dann ins Gymnasium kam, wählte ich Kunst als Leistungskurs, aber eigentlich nie mit der Absicht, es auch zu studieren. Denn mein ursprünglicher Plan war, Medizin zu studieren.
Doch dazu kam es nicht. Nach dem Abitur studierte ich Kunstgeschichte und Kunst, bevor ich dann Kunstpädagogik und Germanistik auf Lehramt belegte. Ich verfolgte diesen Weg bis zur Zwischenprüfung, bevor ich nach Spanien zog.
Dieser Umzug war für mich mit einer gewissen Identitätssuche verbunden. Wer bin ich eigentlich? Wo komme ich her? Ich fühlte mich zu deutsch für Spanien und zu spanisch für Deutschland – irgendwie stand ich zwischen diesen beiden Welten und machte mich auf die Suche nach meinem Platz.
Wie hat sich diese Suche nach dir selbst entwickelt?
Letztendlich verbrachte ich ein Jahr in Barcelona und studierte dort ebenfalls Kunst. Allerdings dieses Mal nicht im Bereich der Pädagogik, sondern freie Kunst. Dort stieß ich auf eine Künstlergruppe, die interdisziplinär arbeitete: Videokunst, Grafikdesign und Malerei. Das hat mich sehr inspiriert, und so war für mich klar, dass ich freie Kunst und Malerei studieren möchte, allerdings wieder in Deutschland.
Warum dann doch wieder Deutschland?
Um ehrlich zu sein – und da muss ich selbst ein wenig lachen – sehnte ich mich nach etwas mehr Struktur. Gleichzeitig ist es wichtig zu wissen, dass meine Wurzeln eigentlich weiter südlich in Spanien liegen. Das könnte ein Faktor gewesen sein, warum ich mich nicht richtig zugehörig fühlte. Aber natürlich kehrte ich gerne zurück und hatte direkt Ideen, wohin ich wollte und was ich tun wollte. Von daher war dieses Jahr sehr inspirierend.
Mein Wunsch nach meiner Rückkehr war, Nordwestdeutschland zu verlassen. Deshalb bewarb ich mich an Kunsthochschulen in Berlin, Weimar und Leipzig und erhielt überall eine Zusage.
Tja, damals, Anfang der 2000er Jahre, fiel die Entscheidung ganz klar auf Leipzig. Die Stadt war in aller Munde, hatte die tollsten Ateliers und bot so viel Freiraum, dass fast schon paradiesische Zustände für Kunstschaffende herrschten. Und so setzte ich dort mein Malereistudium fort. Im Hinterkopf blieb zwar immer noch Berlin, aber am Ende zog es mich nie dorthin.
Nach und nach kamen immer mehr Leute nach Leipzig, mein Leben entwickelte sich weiter, mein Arbeitsmittelpunkt bildete sich dort heraus und schließlich auch mein Familienmittelpunkt. Und so blieb ich bis heute in Leipzig und liebe diese Stadt noch immer.
In Leipzig arbeitet ihr/ du in einem Atelierhaus. Wie hat sich das entwickelt?
Schon während des Studiums zeichnete sich für uns als Fachklasse ab, dass wir gerne zusammen in einem Atelier sein möchten. Das wurde durch die Nähe der Ateliers innerhalb der Hochschule begünstigt, was sehr besonders war. Daraus entwickelten sich natürlich auch Freundschaften, und so hielten wir Ausschau nach geeigneten Immobilien. Wir wurden fündig mitten im Zentrum am Roßplatz im Jahr 2000/2001: ein freistehendes Gebäude mit Garten. Dort zogen wir dann, mit 20 Personen, ein, aus den Fachbereichen sowohl angewandter als auch bildender Kunst.
Und so gibt es das Atelierhaus seitdem, mit mehr oder weniger derselben Besetzung von Menschen.
Aber natürlich gab und gibt es auch hier Veränderungen, insbesondere abseits der menschlichen Veränderungen. Inzwischen wurde das Haus verkauft, und wir haben nur noch einen Mietvertrag, der irgendwann enden wird. Dann stellt sich die Frage, wo wir arbeiten werden. Denn die Immobilienpreise und -verfügbarkeiten in der Stadt haben sich extrem verändert. Der Zuzug hat die Immobilienlage verändert, und das führt dazu, dass wir uns neu orientieren müssen, wahrscheinlich weiter am Stadtrand.
Erzähl uns etwas zu deinem Stil. Wie hat sich dieser entwickelt?
Heute male ich nicht mehr rund um die Uhr. Die Kinder haben hier natürlich einiges verändert. Was ich immer bei mir habe, ist mein Skizzenbuch. Dort mache ich nicht nur zeichnerische Notizen, sondern sammle auch verbale Inhalte. Im Anschluss male ich dann in Phasen das, was sich angesammelt hat.
Meine Herangehensweise ist vergleichbar mit einem Gedicht. Ich suche nach einem Äquivalent des inneren Zustands: Gefühle, Gedanken, Emotionen.
Vor der Kunsthochschule war ich eher figürlich ausgerichtet, in der Schulzeit ging es mehr um das Gegenständliche, bis mir das irgendwann zu starr wurde, zu wenig spielerisch. Daher habe ich mich dann langsam davon gelöst.
Der Malprozess an sich ist für mich eher meditativ, wobei ich dabei funktional vorgehe, zum Beispiel durch Materialbeschränkungen. Ich arbeite nur mit Acryl, nicht mit Öl. Manchmal mische ich noch etwas Sand bei, was die Verbindung zu meiner zweiten Heimat Spanien herstellt. Ansonsten arbeite ich nicht mit Stiften, sondern nur mit Pinseln und manchmal mit meinen Fingern. Zusätzlich habe ich noch Formatbeschränkungen, innerhalb derer ich mich bewege.
Bei meinen kleinen Arbeiten sitze ich dann in der Mitte, habe die Bilder um mich herum ausgebreitet und wechsle hin und her, um sie in einem Rutsch fertigzustellen. Aber natürlich braucht es Zeit.
Während des Malprozesses bin ich eigentlich nur ein Instrument meines Werks. Das Bild geht einmal durch mich hindurch und findet schließlich seinen Platz auf der Leinwand.
Ich lasse es einfach geschehen. Das Spannende dabei ist, dass ich spüre, wenn ein Bild fertig ist. Ganz selten muss ich danach noch einmal etwas ändern oder anpassen.
Von Leipzig nach Nürnberg – wie ist deine Verbindung zu den Neighborhood Hotels?
Der Kontakt nach Nürnberg kam über einen Bekannten zustande, mit dem ich im Atelierhaus gearbeitet habe. Mein Atelier war damals sehr voll, und ich wollte Arbeiten verkaufen. Ich hatte gerade meine Kinder bekommen und war in dieser Zeit nicht mehr so stark auf Ausstellungen vertreten. So kam es, dass ich Kontakt zur Kunstgalerie „Bühlers“ bekam, die Arbeiten für das „Melter Hotel & Apartments“ suchte. Am Ende gingen 16 Arbeiten, bestehend aus Fotografie und Malerei, dorthin. Als die Anfrage für das „Karl August“ kam, war ich sofort begeistert.
Thematisch kreisen meine Arbeiten immer im weitesten Sinne um Beziehungen: also wie ich mit der Außenwelt, aber auch mit Gegenständen, in Kontakt stehe. Das können Menschen, räumliche Herausforderungen oder auch ganz alltägliche Dinge sein.
Ein idealer Ort für das Thema Beziehungen ist ein Hotel. Es ist ein Ort der Begegnung, wo Beziehungen beginnen, geführt und auch beendet werden. Es ist ein privater, geschäftlicher und funktionaler Ort – einfach voller Bewegung.
Vieles passiert in einem Hotel wie beiläufig, besonders in der Lounge des Karl August. Interieur trifft auf Blumenbouquet trifft auf Kunst. Alles ist weniger absichtlich als in einer Galerie oder einem Museum. Die Kunst fügt sich mühelos ein. Mal hängt ein Bild über dem Sofa, mal am Kamin – eigentlich wie zu Hause. Dadurch kommen mehr Menschen mit der Kunst in Berührung.
Gleichzeitig verleiht dies der Kunst eine Lebendigkeit, die mir sehr entspricht. Daher bin ich doppelt dankbar für diese Möglichkeit.
Was sehen die Gäste und Locals aktuell in der Lounge?
In der Ausstellung sieht man derzeit einen Querschnitt durch mein Œuvre. Für mich persönlich ist es sehr schön, meine Werke so gesammelt an einem Ort und in dieser Fülle zu sehen. Das habe ich sonst nur in meinem Atelier.
Die ältesten Bilder sind aus 2006, zum Beispiel der „Zyklus“: Bilderrahmen, Lichterkette und Schlagzeug. Hier deutet sich die Suche nach Reduktion an. Der erste Schritt war, den Dingen ihren Hintergrund zu nehmen, sie bodenlos erscheinen zu lassen. Dadurch wirken sie, als würden sie schweben, und der Fokus geht auf Formen und Farben.
Es stellt aber auch eine Zweckentfremdung dar: Ein schwebendes Schlagzeug wird ungewohnt still. Fast so, als wäre gerade jemand aufgestanden und hätte die Szenerie verlassen.
Die weiteren Arbeiten in der Lounge reichen bis in die Gegenwart. Man erkennt deutlich, wie mehr Farben und Formen Einzug halten, gleichzeitig wird es immer abstrakter. Inzwischen arbeite ich nur noch in festen Formaten. Das hat praktische Gründe, wie die Lagerung, unterstützt aber auch die konzeptionelle Arbeit.
Die neueren Werke haben immer einen ovalen Rahmen, in dem ich mich formal und farblich bewege. Die Ornamente, die sich daraus ergeben, entwickeln sich wie Gefühle und Emotionen darin. Daraus kann ich immer wieder neu schöpfen und weiterarbeiten.
Die Werke im Karl August Market bilden eine Schnittstelle zwischen meinen frühen und aktuellen Arbeiten. Dort löse ich Gegenstände ins Abstrakte auf, zum Beispiel durch das Auseinandersägen des Bildes.
Gibt es für dich ein Lieblingsobjekt in dieser Ausstellung?
Nein, das kann ich nicht sagen. Es gibt gewisse Perspektiven, die ich sehr mag, wie das Bild „Eingebung“. Besonders finde ich auch die Arbeit von Blumen Kai, der sich von meiner Kunst inspirieren ließ und seine Arbeit an meine anpasst.
Wie bist du zu dem Ausstellungstitel „SI/NO“ gekommen?
Das Malen hilft mir, mich besser zu strukturieren und entscheidungsfreudiger zu sein. Auf der Leinwand muss ich mich entscheiden, und das überträgt sich natürlich auf den Alltag und das ganze Leben.
Das Leben „da draußen“ bewegt sich immer zwischen „Ja“ und „Nein“. Mache ich es so oder so? Kunst lädt dazu ein, sich mit Entscheidungen auseinanderzusetzen.
Ich merke das auch in meiner Arbeit als Kunsttherapeutin. Derzeit promoviere ich und arbeite an der Uniklinik Leipzig auf der Kinderkrebsstation. Ich arbeite mit erkrankten Kindern und Jugendlichen sowie deren Eltern. Hier zeigt sich die Verbindung zwischen meinen zwei Welten, denn am Ende geht es um die essentielle Frage: „Was muss gesagt werden?“ – „Was liegt mir wirklich am Herzen?“ Ich möchte die Welt nicht mit Bildern überschwemmen, die sie nicht braucht. Diese sinnstiftende Arbeit bringt Kunst in die Welt und kann Selbstheilungsprozesse aktivieren. Malen und Zeichnen tut gut. Eltern haben das oft vergessen, die Verbindung geht über die Jahre verloren. Aber am Ende hinterlässt das Visuelle eine Spur und man wird sich bewusster, was einen umtreibt und beschäftigt.
Was sind deine Wünsche für die Zukunft?
Mein nächstes konkretes Ziel ist, im November in Leipzig zusammen mit Elisabeth Howey und der Galerie Gosch eine Ausstellung zu planen. Elisabeth arbeitet plastisch und mit amorphen Formen, wie ich in meinen jüngsten Bildern. Sie ist überwiegend monochrom weiß, ich eher farbenfroh, und hier ergänzen wir uns prima. Ihre Arbeiten sind teilweise schwer zuzuordnen, eher bleich und weiß wie Traumwesen – manche glatt, manche brüchig. Auch hier sehe ich eine Verbindung zu meinen Arbeiten mit Acryl und Sand.
Ein weiteres Ziel ist, in der Kunsthalle Osnabrück, meiner Heimatstadt, etwas mit der neuesten Grafikdesignerin Anja Kaiser auf die Beine zu stellen. Ich habe in Osnabrück noch nie etwas gezeigt, da mein Heimatgefühl nicht so stark war. Mein Zuhause ist immer da, wo mein Bett steht. Doch der Ort ist gut, und es wäre großartig, wenn ich eines Tages eine Verbindung dazu aufbauen könnte.
Ansonsten ist mein Ziel, einfach glücklich zu sein, so lange wie möglich im Atelier zu bleiben oder etwas Ähnliches zu finden für Stabilisation und Inspiration. Aber hier bin ich zuversichtlich.