Arbeiten mit Beton

Interview mit dem Künstler Philipp Eyrich
Text: Andreas Obermann
„Die Gäste sollen sich auf etwas Neues einlassen und brauchen dafür eine offene Haltung ohne Vorbehalte und Ängste. Es geht um eine Entdeckerlust, eine kindliche, unbeholfene und freie Entwicklungsform. Neue Wege und innere Wege sollen wieder gefunden werden, um sich fair und treu zu bleiben.“
Philipp Eyrich
Foto von Philipp Eyrich – Künstler aus Nürnberg

Von dir hängen mehrere Kunstwerke im Hotel Karl August und in der Brasserie NITZ. Wie sind diese entstanden?

Für die zwei Holzkringel im NITZ habe ich Kiefernäste rund um der Nürnberger Akademie gesammelt und mit einer Überplattungsdübelung verleimt. Durch die Klimaerwärmung und der damit verbundenen Schwächung der Bäume konnte sich der Borkenkäfer gut ausbreiten und es mussten viele Bäume entnommen werden.

Das gerade gewachsene Holz wurde zu Konstruktionsholz verarbeitet. Der Rest, der sich nicht für die industrielle Verarbeitung eignet, hat aber für mich sehr spannende Formen. Wenn bei einem Sturm ein Ast vom Baum fast abbricht, dann hat der Baum die Kraft, dass sich dieser Ast wieder verwächst.
Dann entstehen richtig stabile Rundungen oder ästhetische Bewegungen. Diese Formen werden dann von mit ausgesucht und zu einem „Neuen Ganzen“ zusammengesetzt. Anschließend lasse ich davon eine Neonarbeit im Maßstab 1:3 anfertigen.

In den Hotelzimmern hängen Abgüsse von Waldböden. Mit einer Kupferfolie und Beton als Druckmittel habe ich im Nürnberger Reichswald unweit des Kanals Abdrücke vom Waldboden genommen. Die Abgüsse sind Zeitzeugen des Waldes, denn der reine Kiefernwald, der uns 400 Jahre begleitete, ist ein auslaufendes Model. Wir kehren zu einem Mischwaldprinzip zurück, wie es vor dem 17. Jahrhundert weit verbreitet war, denn dieser Wald ist weniger anfällig für Krankheiten und kann sich in Problemzeiten besser behaupten.

Fotos: David Rasche

Außerdem hast du noch den Tresen im Restaurant Tisane gebaut. Wie war das Konzept?

Meine erste Frage war: Was fehlt bei einem Restaurantbesuch? Gerade im Tisane geht es mehr als nur ums Essen. Der Besuch ist eher wie eine Vorführung, wie im Theater. Hier geht es um Kultur. Die Gäste sollen sich auf etwas Neues einlassen und brauchen dafür eine offene Haltung ohne Vorbehalte und Ängste. Es geht um eine Entdeckerlust, eine kindliche, unbeholfene und freie Entwicklungsform. Neue Wege und innere Wege sollen wieder gefunden werden, um sich fair und treu zu bleiben. Pablo Picasso sagte mal, die Kunst sei es, das Kinde in sich zu bewahren.

Daher habe ich mich bei dieser Arbeit am Affenfelsen in Nürnberg orientiert. Er ist ein Ort, den ich schon immer als sehr interessant eingestuft habe, aufgrund von seinen spannenden Formen, der Natürlichkeit und der Begierde der Kinder, ihn zu erklimmen. Aber auch Erwachsene mögen ihn, wenn sie sich dort oben kurz erholen. Diese Gedanken über das Tisane waren zusammen mit den Erkenntnissen der Architekten von MEKADO Architekten die Grundlage für die Konzipierung der Arbeit.

Wie ist der Tresen entstanden?

Zuerst habe ich mehrere große Kästen gebaut, in die ich Sand geschüttet und diesen dann zu interessanten Formen gestaltet habe. Anschließend habe ich die Kästen komplett mit Beton aufgefüllt, wodurch ein Abdruck der Sandform entstand, eine Art Erdprint sozusagen. Das Besondere: Für die oberste Sandschicht habe ich extra Sandsteine vom Affenfelsen zerkleinert. Die hat sich dann beim Aushärten mit dem Beton verbunden, sodass der Tresen selbst zu einer Art Affenfelsen wurde.

Gleichzeitig ist der Tresen ein Symbol für einen natürlichen Kreislauf. Wenn man sich etwa den Kreislauf eines Steines anschaut, dann wird aus Fels erst Stein, dann Kiesel, Sand, Staub und zum Schluss Lehm, der wieder zum Felsen wird. Das ist der Zyklus eines ganz natürlichen Materials. Beton ist nur ein beschleunigter Prozess davon. Man nimmt Sand, vermischt es mit Wasser, wartet einen Tag und plötzlich ist ein Stein entstanden, was auf natürlichem Weg viele Jahre dauert.

Warum verwendest du für deine Arbeiten vor allem natürliche Materialien?

Sie haben eine eigene Dynamik, machen im Rahmen der physikalischen Gesetze, was sie wollen. Ich will auch gar nicht alles zu 100 Prozent beeinflussen, denn wenn das möglich ist, sind die Materialien meistens tot, wie Plastik zum Beispiel. Bei den Kieferästen für die Kringel musste ich mir gar keine Gedanken machen, wie genau die Formen entstanden. Das überlasse ich lieber der Natur. Erst bei der Präsentation übernehme ich die kompletten Entscheidungen.

Welche Bedeutung hat die Kiefer für dich?

Ich arbeite immer mit der Kiefer, weil ich alles an ihr mag, nicht nur den Stamm, sondern auch die Rinde und die dunklen Nadeln. Die Kiefer ist kein Baum, den wir besonders rühmen, wie die deutsche Eiche. Dennoch ist die Kiefer essenziell – besonders, wenn man mit Beton arbeitet. Das Holz wird neben dem Fichtenholz immer für die Schalung verwendet. Die Kiefer ist für mich der Begriff des Arbeiterbaums. Sie muss vieles schaffen, um etwas zu schaffen. Früher machte man Lacke und Lösungsmittel aus ihrem Harz.

Du hattest fast fünf Jahre dein Atelier auf AEG. Inzwischen bist du nach Berlin gezogen, dennoch ist deine Verbundenheit zur Region noch sehr groß.

Ich bin von hier und habe in Nürnberg an der Akademie studiert. Ich finde, dass es in Nürnberg noch viel zu bearbeiten gibt. Der Künstler Urs Fischer meinte mal, dass er nach New York müsse, da die Stadt noch nicht fertig sei. Dann frage ich mich, was an dieser Stadt noch verbessert werden könne oder was Nürnberg bräuchte, um eine Weltstadt zu werden (lacht).

Was wäre das?

Einerseits haben wir in Nürnberg den Space Between eröffnet. Andererseits habe ich mich auch mit Jasna Kajevic für die Entwicklung des Kolosseums bzw. der Kongresshalle zu Arbeitsräumen für Künstler stark gemacht. Ich finde, dass es für diesen Ort viele Möglichkeiten gibt. Die Hallen und die Außenflächen sind groß, die Infrastruktur ist gut, die Nähe zur Akademie ist gegeben. Es geht uns hier um eine verbesserte Bildungsmöglichkeit für alle Milieus – durch Erleben und Beleben.

Was ist der Space Between? Wie ist er entstanden?

Der Space Between ist ein urbaner Ort an der S-Bahn Haltestelle Steinbühl. Der Raum stand zuvor 20 Jahre leer. Ich habe ihn schon vor ein paar Jahren entdeckt, da er sich sehr gut für Kunstausstellungen eignet. Er ist groß, hat hohe Decken und besteht zum größten Teil aus Beton. Die tolle Fensterfront ist perfekt, um auch nachts Arbeiten zu präsentieren. Um dort nur Kunst zeigen zu können, hätte ich wohl Galerist werden müssen. Deswegen habe ich mich mit Architekten und einem DJ zusammengetan, um dort auch Workshops, Konzerte und Clubnächte entstehen zu lassen. Durch eine offene Struktur können diese drei Sparten sich miteinander verbinden. Wir möchten, dass der Space Between zu einem Treffpunkt für junge Menschen wird und gleichzeitig den Bahnhof qualitativ aufwertet.

Du hattest inzwischen auch eine eigene Ausstellung im Space Between. Was hast du dort gezeigt?

Im Prinzip habe ich dort eine große Malerei ausgestellt. Auf 8 mal 9 Metern habe ich eine Plane mit aufblasbaren Kissen darunter ausgelegt und diese dann mit Beton „bemalt“. An der Vernissage haben sich die Kissen dann langsam aufgeblasen. Dadurch wurde der Boden immer wackeliger und unebener, man konnte nur noch in bestimmten Bereichen laufen und stehen. Die Versiegelung bzw. der Beton brach auf und fiel an manchen Stellen ab oder wurde durch das Betreten der Gäste zermahlen oder abgeschabt.

Der Titel der Ausstellung war „Blow Out“. Damit wollte ich einerseits den 3-jährigen Prozess der Entstehung des Space Between visualisieren. Denn wir hatten als Gruppe gerade was den Boden des Raumes anging, sehr viele Diskussionen, Explosionen und Risse. Diese sind natürlich unseren Wegen unabdingbar, da wir nicht still stehen wollen, sondern auch immer weiter gehen. Auch nach dieser performativen Eröffnung war es am Ende etwas Neues und Funktionierendes.

Andererseits war das Ziel, mit dem Space Between auch endlich an die Öffentlichkeit zu gehen und ihn sozusagen in die Gemeinschaft hinauszupusten.

Fotos: Jasna Kajevic

Im Sommer wurde der Space Between bei Starkregen überflutet. Wie ist die aktuelle Situation?

Überall stand das Wasser teilweise bis zu 1,70 Meter hoch. Nachdem wir es abgepumpt hatten, war der Space Between komplett mit Schlamm, fein wie Kaffeesatz überzogen. Inzwischen haben wir alles gereinigt, aber die Bar ist leider kaputt gegangen. Außerdem haben wir immer noch keinen Strom. Durch den hohen Druck wurde auch Wasser zwischen die Fensterscheiben gedrückt. Sobald die Sonne auf die Scheiben scheint, verdunstet das Wasser, wodurch sie beschlagen. Jetzt haben wir die Sorge, dass dadurch Algen entstehen können und die Scheiben grün werden. Wobei der Ort dadurch noch mehr wie eine Höhle wirken würde, die mitten in der Stadt liegt. Das würde mir auch wieder gefallen. Wir hoffen, dass wir ab November die nächste Ausstellung zeigen können.

Woran arbeitest du gerade?

Momentan arbeite ich an mehreren Projekten parallel. Einerseits konzipiere ich drei neue Werke für Kunst am Bau. Andererseits arbeite ich mit einem befreundeten Grafiker an einem Buch über meine bisherigen Arbeiten. Das Buch soll sehr haptisch werden, sodass man es mit mehreren Sinnen gleichzeitig wahrnehmen kann und nicht nur mit dem Auge wie bei einem PDF am Laptop. Es soll wieder zum Ursprung zurückführen, mit unterschiedlichen Materialien, ähnlich wie bei Babybüchern, bei denen eine Seite mal flauschig ist, die nächste dann rau und knitterig. Ich plane auch eine kleine Sonderauflage von 50 Stück, die ich dann noch individuell bearbeite. Der Buchrelease ist für Frühjahr 2024 im Space Between geplant.

Dieses Jahr hast du auch dein Nomadic Sculptur Studio fertiggestellt. Was verbirgt sich dahinter?

Das ist ein nomadisches Bildhauer Atelier. Ich habe zwei Wechselbrücken, eine davon ist eine Werkstatt beziehungsweise mein Atelier, die andere ein Thinktank mit kleiner Küche und Bad. Das Atelier kann ich dann irgendwo hinfahren lassen, dort meine Sachen herausholen und anfangen zu arbeiten. In der Werkstatt oder im Freien.

Hast du schon Ideen, wo du dein Studio hinstellen möchtest?

Nomadic Studio heißt ja nicht umsonst nomadisch – im Sinne des Wandernden. Ich suche für meine Arbeiten immer wieder neue brachliegende städtische Naturbiotope, auf denen ich arbeiten und forschen kann. Für mich haben diese Orte immer etwas sehr Sinnliches und Beruhigendes, wenn die Pflanzen langsam, aber sicher sich diese wüsten Abrissorte zurückerobern. Es ist ein Zeichen, dass vieles auch Zeit braucht, um wieder gut zu werden – wenn man es lässt. Aber dass es immer klappt, macht doch viel Hoffnung und auch Freude, im Leben frei zu sein. Reflexion ist dafür das beste Werkzeug vom Baumarkt (lacht).

Aktuell steht es für ein Projekt in der Nähe des Kulturgewächshauses in Fürth.

Warum gerade dort?

Ganz in der Nähe, rund 500 Meter entfernt, liegt die Kraftwagenhalle, die wir gerne zusammen mit dem Fürther/Nürnberger Architekturbüro Studio Kuur weiterentwickeln
möchten. Das Zentrum des Areals wäre die Halle mit einem israelischen Café und Ateliers, drumherum könnte eine moderne, nachhaltige Gewerbearchitektur entstehen, die über Stege erreichbar wäre. So müsste man kaum in die Natur eingreifen und könnte dort ganz verschiedene Leute zusammenbringen.

Du hast mal gesagt, dass du auch auf’s Land mit deinem Studio möchtest.

Das ist eine weitere Möglichkeit, dieses Studio als Forschungszentrum wie bei Wissenschaftlern zu nutzen. Eine Art Expedition mit allem, was man so braucht.
Man könnte Materialien aus der Natur schnell und einfach in einen neuen Kontext bringen, um sie anders wahrnehmen zu können. Und ich hätte die Option, direkt dort zu arbeiten. Ich habe vor meinem Studium auch durch meinen Zivildienst eine Ausbildung zum Erzieher gemacht und könnte mir vorstellen, mit kleinen Gemeinden in Kontakt zu treten und als Gegenleistung zu einem Stellplatz dort Kulturwochen für Klassen anzubieten. Ich denke, dass das für Kinder ein tolles Erlebnis wäre, so frei und philosophisch arbeiten zu können. Das würde mir und den Kindern bestimmt viel Spaß bereiten.