Ein Leben für die Musik

Flo Seyberth über das Auflegen von Schallplatten, den perfekten Tune und seine besten zehn Sekunden in New York
Text: Andreas Obermann Photos: Kathrin Koschitzki
Die Präsentation der Musik ist für mich als DJ sehr wichtig und Platten sind Teil der Musikkultur. Darin liegt auch der kuratorische und künstlerische Anspruch an mich.
Flo Seyberth, Musikproduzent und DJ
Flo Seybert

Du hast für die Brasserie NITZ die Musik kuratiert. Wie bist du dabei vorgegangen?

Zuerst haben wir die Playlist in day und night unterteilt. Später wollen wie diese noch stärker auf einzelne Tagesabschnitte fokussieren: Frühstück, Lunch, Afternoon, Sundowner, Dinner und Bar. 

Grundsätzlich soll sich die Musik eher im Hintergrund halten. Ich finde es grundsätzlich unangenehm, wenn sich in einem Restaurant die Musik in den Vordergrund drängt. Trotzdem sollte sie nicht belanglos sein und wie im NITZ ein urbanes, lebendiges Gefühl vermitteln, das auch an Südfrankreich, Nizza, oder St. Tropez erinnern kann.

Am Anfang waren sehr viele chansonartige Stücke in der Playlist, diese waren mir auf Dauer etwas zu altbacken und monokulturell. Wir leben in einer Zeit, in der Grenzen und Entfernungen eine immer geringere Rolle spielen. Menschen kommen aus anderen Ländern oder Städten hier nach Nürnberg. Deswegen wollte ich die Playlist multikultureller gestalten, mit mehr zeitgemäßeren Stücken.

Wie hast du die passenden Lieder gefunden?

Da ich mich schon sehr lange mit Musik beschäftige, habe ich ein relativ großes Spektrum in diversen Musikstilen und kann mich dabei gut auf meine Intuition verlassen. Außerdem kenne ich verschiedene Quellen, die auch eine gewisse Tiefe besitzen, wo man nicht nur auf das Alltägliche stößt – zum Beispiel in Playlists von anderen Kuratoren, Radio-DJs, Labelmachern oder bei Spotify. Da sind auch Leute dabei, denen ich seit Jahrzehnten folge. Ich höre mir dann jedes Stück selber an, was sehr zeitintensiv ist.

Sind auch Top Ten Hits vertreten?

Ich habe den ein oder anderen bekannteren Tune reingebracht, der mir persönlich zu kommerziell wäre, aber der dann doch gut in die Playlist reinpasst. Pro Playlist sind es momentan rund 300 Lieder und ich würde mir zu 99% alle davon auch privat anhören. Ich könnte keinen Song auswählen, der mir selbst überhaupt nicht gefällt.

Flo Seybert

Du hast von deiner Musikerfahrung gesprochen. Seit wann beschäftigst du dich mit Musik?

Seit ziemlich genau 40 Jahren. Mit circa 12/13 Jahren habe ich mir meine ersten Platten gekauft.

Kannst du dich noch an deine erste Platte erinnern?

Mein erstes Album war von Kraftwerk „Die Mensch-Maschine“. Das habe ich mit neun Jahren bekommen, das war allerdings auf Kassette. Mit zwölf Jahren habe ich meine erste LP gekauft: Das Album „Ideal“ von der gleichnamigen Band.

Was begeistert dich an Musik?

Musik ist eine andere Sprache, man kann in eine andere Welt abtauchen. Die Schule hat mich damals nicht so interessiert und die Musik war ein guter Rückzugsort. Im Internat habe ich angefangen, Schlagzeug zu spielen und war dann auch in einer Punkband. Ich habe mich parallel in die Musikgeschichte eingearbeitet, mir alles angehört, von Soul, Funk, Reggae über HipHop und natürlich auch elektronische Sachen. Musik war in meinem Leben eigentlich immer Thema Nummer 1.

Früher musste man sich mehr anstrengen, um an gute Musik ranzukommen. Streaming-Dienste gab es nicht, stattdessen ist man in Plattenläden gegangen. Für speziellere Sachen musste man dann auch mal nach London fahren.

Hat sich die Art des Musikhörens verändert?

Eine Studie hat mal das Verhalten der User von Spotify analysiert und dabei herausgefunden, dass ein Goldfisch eine höhere Aufmerksamkeit hat. Im Prinzip werden die Songs nach wenigen Sekunden weitergedrückt.

Ich habe mir früher Platten auch mal nach dem Cover gekauft, oder, die mir nicht zu 100% gefallen haben. Weil damit eine Investition verbunden war, habe ich sie doch öfters angehört, und mich dadurch mehr mit der Musik auseinandergesetzt und mir nicht nach fünf oder zehn Sekunden ein schon ein Urteil gefällt.

Plattensammlung

Hat sich dadurch auch die Art des Musikmachens verändert?

Heutzutage fängt der Großteil der Songs gleich mit dem Refrain an, es gibt kein Intro mehr, man unterwirft sich so dem kapitalistischen System der Auswertung der Streaming-Dienste. Gleichzeitig ist auch die Studiotechnik viel besser und günstiger geworden, die Musikproduzenten haben mehr Möglichkeiten – was zwar nicht automatissh zu besserer Musik führt. Dennoch ist die Art des Musikmachens einfacher zugänglich und demokratischer geworden.

Früher war die Musikproduktion viel elitärer, Anfang der 1980er haben gute Synthesizer eine halbe Million DM gekostet. Die Plattenfirmen waren wie große Filter. Durch Plattformen wie Bandcamp und Spotify ist das Veröffentlichen von neuer Musik leichter und durchlässiger geworden. Man muss aber auch mehr Schrott selektieren. Die Veröffentlichungspolitik hat sich geändert. Da alles digital abläuft, wird ein Stück nach dem anderen veröffentlicht, ein Album ist gar nicht mehr so das große Thema. Vinyl ist heute nur noch der Sidekick zum digitalen Auftritt, obwohl es sich die letzten Jahre wieder besser verkauft.

Du produzierst seit 20 Jahren zusammen mit Peter Heider unter dem Namen Boozoo Bajou eigene Musik. Wie ist euer Ansatz?

Ein extrem laissez-fairer, wir machen uns überhaupt keinen Druck. Wenn wir uns treffen, merken wir ganz schnell, ob etwas produktives rumkommt oder nicht. Bei uns ist die Musikproduktion sehr spielerisch, dazu muss die Stimmung passen, das kann man nicht planen.

Wie würdest du eure Musikrichtung beschreiben?

Ich würde sagen, wir liegen irgendwo zwischen Chillout, Downbeat und Ambiente. Mitte bis Ende der 1990er Jahre kamen diese Musikrichtungen auf. Techno war wie eine Explosion und daraus haben sich viele Nebenströmungen entwickelt. Früher habe ich häufiger auch in Chillout-Räumen in Clubs aufgelegt und ich empfand diese Art der Musik meistens interessanter als das, was auf dem Dancefloor lief. Für mich ist das ein Qualitätskriterium: Wenn ich einen Tune sechs bis sieben Stunden hören kann, der mich dann immer noch nicht nervt. Das ist meistens langsamere Musik. Wir fühlen uns bei dem Tempo wohl.

Was bedeutet für dich Qualitätsmusik?

Diese Frage kann ich nur sehr schwer beantworten. Für mich hat das sehr viel mit Erfahrung zu tun. Ich wurde immer selektiver, je mehr Musik ich gehört und kennengelernt habe. Die Musikauswahl ist aber auch sehr subjektiv, denn das Musikangebot ist nicht überschaubar – wie ein riesiger Ozean, in den man nur mal eine Hand halten kann. 

Gibt es für dich einen perfekten Song?

Der perfekte Popsong ist „Wichita Lineman“ von Glen Campbell. Das Lied ist zwar nicht von ihm geschrieben, aber er hat die bekannteste Version eingespielt. Das ganze Arrangement ist extrem clever gemacht – nicht vorhersehbar, aber doch eingängig. Burt Bacharach war im Arrangieren auch ein Meister.

Zur Eröffnung der Brasserie NITZ hast du als DJ aufgelegt. Was hält dich noch an Vinyl?

Es limitiert einen im positiven Sinn. Ich hatte zwei Kisten Platten dabei und das war’s. Für mich spielt die Haptik noch eine große Rolle, und natürlich erzeugt das Auflegen von Platten eine gewisse Atmosphäre. Etwas vom Laptop oder USB Stick abfeuern ist was anderes. Die Präsentation der Musik ist für mich als DJ sehr wichtig und Platten sind Teil der Musikkultur. Darin liegt auch der kuratorische und künstlerische Anspruch an mich.

Hattest du zu einem Event auch schon mal die falschen Platten eingepackt?

Natürlich. Dann werden 5 Minuten zu einer Stunden, im schlimmsten Fall fühlt man sich sogar fehl am Platz. Im Schnitt sind von zehn Gigs acht mittelmäßig und zwei gut. Dabei spielt nicht nur die Musik eine Rolle, sondern auch: Wie sind die Leute drauf? Ist es anfangs des Monats oder Ende des Monats? Haben die Leute Kohle für Drinks? Wie klingt die Anlage? Macht der Türsteher eine gute Selektion? Für eine gute Feier müssen viele Faktoren zusammenpassen und man braucht auch ein bisschen Glück.

Was war bisher dein bester Auftritt?

Meine besten zehn Sekunden habe ich im Cielo in Manhattan erlebt. Es war ungefähr halb elf Uhr abends, der Club war komplett voll – noch im warm-up, aber niemand war auf dem Floor. Ich hatte von Esther Phillips „Home is where the hatred is“ aufgelegt. Der Song faded langsam aus und der ganze Laden applaudiert. In diesem Moment wurde mir klar, dass hier richtig zugehört wird, und die Musik nicht nur ein Beiwerk ist.