Im Paradies
Interview mit Herr Kai - Virtuose de la FleurDu arbeitest seit 32 Jahren als Florist, 17 davon selbstständig. Wie waren deine Anfänge?
Ich habe bereits während meiner Schulzeit in einem Blumenladen in Coburg mitgearbeitet, es war das beste Geschäft am Platze, mit einem wirklich außergewöhnlichen Chef, der aber leider ein Alkoholproblem hatte. In den ersten Jahren bin ich einfach ins kalte Wasser geschmissen worden, weil wir den Laden am Laufen halten mussten. Das Geschäft und den Besitzer gibt es leider nicht mehr, sein Leben und Werken hat mich aber nachhaltig geprägt.
Über verschiedenste Stationen bin ich dann hier in Nürnberg bei Manuela Hiller gelandet, bei der ich meine Ausbildung absolviert und viele Jahre gearbeitet habe. Hier bekam ich meinen floristischen Feinschliff. Um das Jahr 2006 habe ich mich dann mit meinem ersten Geschäft in der Tetzelgasse selbstständig gemacht.
Du machst die Blumenarrangements für die Lobby im Karl August und in der Brasserie NITZ. Wie ist dein Konzept dahinter?
Ich versuche, dass das Centerpiece in der Lobby immer mit der Kunst korrespondiert. Es freut mich jedes Mal, wenn sich die Kunst im Foyer ändert, weil ich das dann mit den Blumen anders darstellen kann. Dabei kombiniere ich ein bestehendes Trockenblumenarrangement mit wöchentlich wechselnden saisonalen und regionalen Frischblumen. Im Fokus steht immer eine kräftige Farbe, die sich in den Kunstwerken wiederfindet. Zu den aktuellen Kunstwerken habe ich zu Beispiel verschiedene Pinkabstufungen mit einem dunkeln Royalblau und Violett kombiniert. Das Konzept des Neighborhoodhotels ist gut durchdacht und ich freue mich, dass ich dabei sein darf.
Du bist während des ersten Lockdowns vom Weinmarkt in die Rosenau gezogen, was hat sich seitdem bei dir geändert?
Meine Gedanken sind hier weiter und großzügiger. Ich kann viel mehr ausprobieren. Es ist alles selbstverständlicher. Viele meiner Kunden wohnen in der Rosenau und für sie ist es natürlich viel praktischer geworden, bei mir einzukaufen. Seit dem Umzug gebe ich jeden Monat Kurse, wie Kranzbinden oder Ikebana. Es herrscht immer eine gute Stimmung, die Teilnehmer freuen sich, neue Leute kennenzulernen und ihre eigenen Talente zu entdecken. Viele denken, dass sie nichts können, aber eigentlich können sie dann doch sehr viel. Ich habe für mich gelernt, dass ich ganz gut anleiten kann und mein Wissen gerne weitergebe. Zusammen mit meinem Freund Jochen stellen wir inzwischen unsere Keramik selbst her und haben uns sogar einen eigenen Brennofen gekauft. Ich lebe hier im Paradies.
Hier in unserem Haus in der Rosenau wohnt es sich sehr besonders. Ich kann auch in Beton leben, aber es ist für mich viel schöner, wenn ich morgens vom Gekrächze der Raben aufgeweckt werde, oder wenn ein Eichhörnchen ans Fenster klopft. Inzwischen kommt auch jeden Tag eine Amsel in den Laden und begrüßt mich. Im Griechischen sagt man: „panta rhei“, wenn alles fließt, dann ist es gut.
Hattest du schon immer eine besondere Beziehung zur Natur?
Das ist mir mitgegeben worden. Meine Uroma hat mir viel beigebracht, sie war eine sehr beschenkte Frau in einer frauenfeindlichen Zeit. Als Magd auf einem Hof hatte sie ein Verhältnis mit dem Bauern, der hätte sie gerne geheiratet, aber das durfte man zu dieser Zeit nicht. Er hat ihr viel mitgegeben und sie war deshalb allgemein gut gebildet. So konnte ich schon als Dreijähriger den botanischen Namen der Sonnenblume sagen.
Mein Opa hat mich jeden Sonntag mit in den Wald genommen, wo wir uns zusammen die Pflanzen angeschaut haben und irgendwann habe ich angefangen, Gestecke zu machen und habe die vor den Häusern verkauft. Natur war in meinem Leben immer präsent. Dass ich mal hauptberuflich als Florist arbeiten würde, hätte ich damals nicht gedacht. Rückblickend hatte ich immer das Glück gehabt, die richtigen Menschen zum richtigen Zeitpunkt um mich zu haben.
Ich komme ursprünglich aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Coburg mit 700 Einwohnern und 2800 Schweinen. Die Firma Hartan, die Kinderwägen produziert, kommt auch daher. Meine Oma hat bei den Besitzern zuhause aufgeräumt und geputzt und ich habe sie manchmal begleitet. Die hatten eine astreine 50er-Jahre Split-Level-Villa mit Pool und dort konnte ich mir die ganzen schönen Sachen anschauen, die es natürlich bei uns zu Hause nicht gab. Den 50er-Jahre Stil, die organischen Formen und die Ästhetik finde ich heute noch toll. Das hat mich nachhaltig geprägt.
Wie würdest du deinen Stil beschreiben?
Eigentlich habe ich keinen, aber beherrsche doch viele. Jeder bekommt bei mir, was er will. Wenn jemand was Lineares will, dann bekommt er was Lineares, wenn jemand was Puffiges will, dann bekommt er eben was Puffiges. Ich möchte niemanden etwas aufzwingen. Meinen Kunden binde ich auch immer noch einen Strauß mit Pampasgras, Eukalyptus und altrosafarbenen Rosen zusammen, auch wenn ich persönlich darauf keine Lust mehr habe, weil sie mich langweilen. Diese Art von Sträußen mache ich schon seit vielen, vielen Jahren. Ich würde mir wünschen, dass sich die Leute mal für was Innovatives und Individuelles öffnen. Das klappt nicht immer, aber immer öfter.
Hast du eine Lieblingsblume?
Schwierige Frage. Im Frühling sind es Vergissmeinnicht, aber eigentlich habe ich keine. Mir gefällt alles, was mein Herz berührt. Das muss nichts Großes sein, ich mag ein schönes Gras von der Wiese, eine Acker-Distel oder einen tollen Tannenzapfen genauso wie eine exotische Orchidee aus dem Dschungel. Alles trägt eine Schönheit in sich.
Gibt es gerade einen bestimmten Trend?
Es gibt schon länger den Trend, dass es keinen Trend mehr gibt. Vielleicht den, alles über Social Media zu zeigen. Selbstgemachte Eukalyptuskränze sieht man momentan auf jedem Account, aber das ist jetzt für mich noch keine florale Kunst. Die richtigen Trends schaffen andere, Lidewij Edelkoort zum Beispiel. In den 1990er Jahren hat sie schon Urban Gardening vorausgesagt, oder vor kurzem, dass die Farbe Schwarz durch Brauntöne ersetzt wird, dass alles weicher, natürlicher wird, mit groben Texturen und amorphen Strukturen. Das sieht man momentan ganz gut im Möbeldesign.
Ich möchte Trends auch nicht überbewerten. Im Jahr 2018 hat die Firma Pantone als Farbe des Jahres Ultraviolett gekürt, das wollte eigentlich kein Mensch haben. Aber viele wollten die Farbe dann doch an ihrer Hochzeit sehen, weil jemand es ihnen so vorgegeben hat. Das Problem ist, dass Ultraviolett auf Fotos wie ein schwarzes Loch aussieht. In diesem Jahr gab es die hässlichsten Hochzeitfotos. Nichts gegen lila!
Inzwischen mache ich Beerdigungen lieber als Hochzeiten, man ist näher an den Leuten dran und kann ihnen durch die Arbeit Trost spenden, oder den Menschen, der gestorben ist, noch mal hochleben lassen. Hochzeiten sind größtenteils leider nur noch Show, um das Prinzip Liebe geht es oft nicht mehr. Ich mache lieber Hochzeiten für ein Pärchen, das sich von Herzen gern hat und das mit Freunden feiern will – und nicht nur der Instagram-Fassade entsprechen mag.
Deswegen würde ich mir sehr wünschen, dass mal jeder in sich geht und für sich entdeckt, was für einen selbst schön ist und Dinge aus dem eigenen Schöpfungsgedanken in die Welt bringt. Mein Trend für die nächsten 500 Jahre wäre: express yourself.
Du spielst Orgel und leitest einen Chor. Welche Rolle spielt Musik in deinem Leben?
Musik ist essenziell für jeden Körper. Musik ist Schwingung genau wie jede einzelne Körperzelle. Gerade in dieser besonderen Zeit, in der wir uns gerade befinden, ist es wichtig, sich gesund mit unserer Umwelt zu verbinden und Musik tut es auf eine sehr schöne und gesamtheitliche Art und Weise.
Alle, die gerade Musik machen, werden bestätigen, dass es sehr emotional und regulierend ist.
Für mich ist Musik sehr wichtig, denn die Kunst ist auch da, um unsere Leben zu erhalten. Musik ist Seelenheil. Sie heilt dein geistiges Wesen. Und ist Transportorgan für Emotionen und zeitübergreifende Linien. Mann kann heute Musik aus dem 4. Jahrhundert machen. Oder auf Steine klopfen, die verschiedene Laute abgeben, was schon die Steinzeitmenschen gemacht haben. Musik ist so alt wie die Menschheit. Musik ist etwas Ewiges.
Jeder Planet hat seinen eigenen Ton, alles ist Frequenz. Jede Zelle hat eine eigene Frequenz und Musik ist hörbare Frequenz, eigentlich bestehen wir alle aus Musik. Jeder Stein, jeder Kater, jedes Holz hat seine eigene Frequenz. Wir sind prinzipiell alle eins.
Du beschäftigst dich also viel mit Musik.
Ja, besonders mit Alter Musik. Johann Sebastian Bach abwärts, kann man so sagen. Man macht keinen ganz groben Cut, Felix Mendelssohn Bartholdy kann man auch noch in die Rubrik alte Musik stecken. Jedes Jahrhundert hatte seine eigene Sprache, denn die Einflüsse waren immer anders. Im 8. und 9. Jahrhundert hat einzig die Kirche vorgegeben, wie Musik zu sein hat. Während der Romanik ging es dann mehr um reine Zahlenmathematik, jeder Tonabstand, jede Sequenz hatte eine eigene Bedeutung, die nur eingeweihten Leuten bewusst war. Hildegard von Bingen machte Musik, die heilt. Sie wusste, wie man zur Heilung manche Krankheiten besingen muss. Das funktioniert, wie ihre Kräuter eben auch funktionieren.
Das ist nichts rückwärts gewandtes, sondern dabei geht es um ganz grundlegende Eigenschaften vom Sein. Unsere Musik ist heute auf 440 Hertz gestimmt, auf den Kammerton A. Das wurde erst 1939, also während der Zeit des 3. Reichs, geändert. Dabei ist 440 Hertz eine körperfremde Schwingung. Früher war die Frequenz bei 435, eben etwas tiefer, und sie ist der Körperzellenschwingung am ähnlichsten. Was wir die ganze Zeit hören, ist eigentlich für uns störend. Die Schwingungen passen nicht mehr zusammen, sie ist etwas zu hoch. Musik mit 435 Hertz ist harmonischer.
Herr Kai, 44, bietet in seinem Laden in der Bleichstraße 19 zusätzlich eine große Auswahl an Gebrauchskeramik und figurativer Keramik von Jochen Bradel an. Einen Überblick über seine Arbeiten zeigen die beiden Instagramaccounts @herr___kai und @clay_clay_hurray .