Reise in die Zukunft

Interview mit Marion Grether, Museumsleiterin der Zweigstelle des Deutschen Museums in Nürnberg
Text: Andreas Obermann Photos: Ludwig Olah / Deutsches Museum
Wir stellen nicht nur Exponate aus, sondern verbinden diese automatisch mit ethischen Fragen. Die Besucher sollen sich wieder mehr mit den Auswirkungen von Entwicklungen auseinandersetzen. Viele Menschen denken, dass sie gar keinen Einfluss mehr auf die Zukunft haben, aber das stimmt nicht.
Marion Grether, Museumsleiterin der Zweigstelle des Deutschen Museums in Nürnberg
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Foto: Andreas Obermann

Wie ist das Konzept des Zukunftsmuseums in Nürnberg?

Im Gegensatz zu anderen Museen können wir als Zukunftsmuseum fast keine historischen Exponate ausstellen. Wir wollen den Besuchern etwas zeigen, dass es noch nicht gibt, oder sich gerade erst in der Entwicklung befindet – zum Beispiel Prototypen oder Forschungsobjekte.

Von der Firma Italdesign präsentieren wir in der Ausstellung ein Auto mit passender Drohne. Das Auto kann also nicht nur auf der Straße fahren, sondern auch mit Hilfe der Drohne fliegen. Dass der Luftraum auch für Autos als Verkehrsraum genutzt wird, kann man sich momentan nur schwer vorstellen. Dafür müsste auch politisch noch einiges passieren. Dennoch wissen wir, dass das technisch möglich ist. Die Frage ist, ob die Gesellschaft das auch will. Welche Konsequenzen würden aus fliegenden Autos entstehen? Diese Fragen und Überlegungen wollen wir zur Diskussion stellen.

Wir stellen also nicht nur Exponate aus, sondern verbinden diese automatisch mit ethischen Fragen. Die Besucher sollen sich wieder mehr mit den Auswirkungen von Entwicklungen auseinandersetzen. Viele Menschen denken, dass sie gar keinen Einfluss mehr auf die Zukunft haben, aber das stimmt nicht.

Ein weiterer, zentraler Punkt des Ausstellungskonzepts sind unsere „Future-Communicators“. Themen wie pränatale Diagnostik oder Gensequenzierung können die Besucher aufwühlen. Deswegen sind auf Ausstellungsflächen unsere F-Coms unterwegs, die zu Gesprächen bereit sind, Exponate erklären können und auch gerne das Feedback der Besucher annehmen, auf das wir dann wieder reagieren können.

Wie findet ihr die Exponate der einzelnen Bereiche?

Zu Beginn des Entwicklungsprozesses des Museums hat das Team um Dr. Andreas Gundelwein (Abteilungsleiter für Ausstellung und Sammlung im Deutschen Museum) in München zusammen mit Zukunftsforschern fünf große Megatrends erarbeitet: „Arbeit und Alltag“, „Körper und Geist“, „System Stadt“, „System Erde“ und „Raum und Zeit“.

Es ist ja kein Geheimnis, wer an den jeweiligen Trends forscht. Wasserstoff ist in der Metropolregion Nürnberg ein großes Thema. Große Firmen machen sich zu einem Antrieb mit Wasserstoff viele Gedanken und finden dementsprechend auch Lösungen, die wir dann zeigen können. Zusätzlich arbeiten wir eng mit Forschungsgruppen verschiedener Universitäten zusammen.

Der Ruf des Deutschen Museums ist sehr gut, unsere Kooperationspartnern wissen, dass wir verantwortungsvoll mit Informationen umgehen und diese für die Besucher gut aufbereitet zeigen. Aber wir sind ein Museum und keine Werbefläche. Wir zeigen alle Seiten einer Entwicklung. Was auch wiederum für die Unternehmen interessant ist, denn sie sind von Akzeptanz der Gesellschaft an ihren Innovationen abhängig.

Der Begriff „Zukunft“ ist endlos, wie könnt ihr ihn für die Besucher fassen?

Wir definieren den Begriff Zukunft nicht, sondern versuchen für Besucher eine Relevanz herzustellen. Des heißt: Wir befassen uns nicht mit Dingen, die vielleicht in 5000 Jahren passieren werden. Wir gehen von den Bedürfnisse der Besucher aus und das ist ein erlebbarer Zeitraum von 20 bis 50 Jahren.

In 20 bis 50 Jahren kann viel passieren. Wie könnt ihr auf den steten Wandel reagieren?

Das ist ja das Spannende: Wann sind Trends noch Trends? Mobilität bleibt als großes Thema bestehen, aber wie wird es in 10 oder 20 Jahren umgesetzt? Spielt Wasserstoff in Zukunft noch eine Rolle? In den fünf großen Bereichen, die wir hier präsentieren, passieren ständig Innovationen. Deswegen haben wir pro Ausstellungsbereich einen Kurator oder eine Kuratorin, die immer an der Optimierung des jeweiligen Bereichs arbeiten. Das ist ein ständiger Prozess.

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Warum liegt der Fokus in den Ausstellungen auf technischen Entwicklungen?

Technik ist immer ein großer Treiber von Veränderungen und das Interesse daran ist durch die Medien sehr gewachsen.

Durch die Erfindung des Smartphones hat sich das Leben fast aller Menschen verändert. Öffentliche Abläufe haben sich durch das Gerät verändert. Die Art der Kommunikation. Das Zusammenleben der Menschen. Ein Leben ohne ein Smartphone wäre für viele gar nicht mehr denkbar. Dabei ist diese technische Errungenschaft noch gar nicht so lange her. Vor 30 Jahren hatte fast jeder Haushalt nur ein Festnetztelefon.

Die Frage ist, ob man immer WhatsApp braucht. Früher hat man es auch geschafft, sich zu verabreden; man war dann einfach pünktlich. Das Smartphone ist ein gesellschaftlich umwälzendes Gerät. Ich war Leiterin des Museums der Kommunikation in Nürnberg und ich konnte regelmäßig beobachten, dass Kinder mit ihrem Finger auf den Bildschirmen gewischt haben, auch bei Fernsehgeräten. Die Kinder wurden dann ungeduldig, denn sie sind es nicht gewöhnt, dass ein Bildschirm nicht reagiert. Für sie sind alle Bildschirme interaktiv.

Auf den ersten Blick verbessern technische Entwicklungen das Leben. Gibt es auch negative Folgen?

Bleiben wir beim Smartphone: Die Nutzung sieht erst einmal harmlos aus, aber das ist alles gar nicht so ungefährlich. Erstens haben wir durch das ständige Online-Sein einen Mega- Energieverbrauch, zum Beispiel durch Videotelefonie, Google-Anfragen und den diversen Social-Media-Aktivitäten. Das ist vielleicht gar nicht allen bewusst, die wegen dem Klima auf die Straße gehen. Das zweite Thema ist der Datenschutz: Kaum jemand liest sich die Vereinbarungen durch, die wir online ständig anklicken müssen. Hier bedarf es einer hohen Medienkompetenz, um mit der Technik auch verantwortungsvoll umgehen zu können. Ich finde, dass wir in Deutschland mit der Datenschutzverordnung auf dem richtigen Weg sind, denn auch im Digitalen gibt es Rechte und Pflichten. Momentan dominieren in diesem Bereich ein paar große Konzerne, das würde man im Analogen niemals dulden. Das wird man für die Zukunft gewissermaßen „demokratisieren“ müssen.

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Verschiebt sich die Zukunft immer mehr ins Digitale?

Ich denke, dass inzwischen viele Menschen digital müde sind, sie wollen wieder andere Menschen treffen und irgendwo hingehen, um wieder etwas zu erleben. Shopping als sozialer Akt kann niemals durch einen Onlineshop ersetzt werden. Oder allgemeiner formuliert: Das analoge Erfahren von Abläufen können wir eben nicht komplett ins Digitale verschieben. Wir erfahren das jeden Tag hier im Augustinerhof: Jugendliche treffen sich, um gemeinsam mit ihren Smartphones Fotos oder Videos für TikTok oder Instagram aufzunehmen und zeigen es anschließend ihren Freunden. Sie benutzen zwar dafür ihr Smartphone, die Aktion an sich passiert aber im Analogen.

Welchen Einfluss hatte Corona auf die Digitalisierung?

Corona hat viele Dinge offenbart – im Guten wie im Schlechten. Die digitale Infrastruktur wurde ganz schnell geschaffen, wie in Schulen oder im Homeoffice. Aber gerade nach dem zweiten Lockdown waren alle müde vor dem Computer zu sitzen, und viele haben es zu schätzen gelernt, wieder rausgehen zu können.

Neben technischen Entwicklungen zeigt ihr in vielen Ausstellungsbereichen auch bekannte Motive aus dem Science-Fiction-Bereich – zum Beispiel Filmausschnitte aus dem Film Matrix.

Wir haben zwar tolle Prototypen und Exponate, aber dazu oftmals noch keine weiteren Visualisierungen. Das Interessante bei Science-Fiktion ist ja, dass sich Menschen schon mal ausgedacht haben, wie etwas sein könnte; etwa, wenn man auf einem Wüstenplaneten leben würde. So wollen wir den Besuchern helfen, sich bestimmte Situationen besser vorstellen zu können und auch deren Fantasie anregen.

Zum Schluss: Wird die Zukunft gut oder schlecht?

Ich würde sagen gut, weil ich ein positiver Mensch bin. Allerdings: Wie würde ein Mensch aus den 1960ern unsere heutige Situation beschreiben? Klar: Viele Dinge sind positiv. Die Menschen leben gesünder und werden älter. Aber es passieren auch viele schlechte Dinge, wie der Klimawandel.

Ich glaube, dass in keiner Zukunft, in der der Mensch ein Faktor ist, alles gut oder schlecht sein wird. Die Frage ist ja auch: Was würde man haben wollen, dass die Zukunft gut ist? Das ist eine Frage, die man sich persönlich so nicht stellt, denn das ist eher eine globale Frage. Wobei die Welt nicht nur in einem System funktioniert, denn Europa kann man nicht mit Afrika vergleichen.

Deswegen gibt es natürlich sowohl Utopien als auch Dystopien und das wollen wir hier im Museum zeigen.

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Marion Grether ist seit 2020 Museumsleiterin der Zweigstelle des Deutschen Museums in Nürnberg, das am 17.9. 2021 eröffnet hat. Sie hat Kunstgeschichte und Archäologie studiert und im Anschluss eine Weiterbildung in der Museumsakademie Musealog in Emden absolviert. Im Anschluss war sie zuerst im Museum für Kommunikation in Berlin tätig, und wechselte später als Museumsdirektorin in die Zweigstelle des Museums für Kommunikation in Nürnberg.

Informationen zu den Öffnungszeiten und Ticketbuchungen sind über die Website des Museums abrufbar: www.deutsches-museum.de/nuernberg