Giesen-Röster in der Rösttrommel auf AEG in Nürnberg

Rohkaffee, Röstprofile, Ruanda

Matthias Heyder, Geschäftsführer der Rösttrommel GmbH Kaffeerösterei, im Interview
Text: Andreas Obermann Photos: Kathrin Koschitzki
Wir mögen einfach guten Kaffee. Deshalb arbeiten wir langfristig mit Farmern zusammen, die einzigartige Kaffees anbauen. Wir suchen uns Partner, die unser Konzept von einem verantwortungsvollem Miteinander teilen und selbst leben.
Matthias Heyder, Geschäftsführer der Rösttrommel GmbH Kaffeerösterei
Portrait-Matthias-Heyder

Seit zehn Jahren röstet ihr in Nürnberg Kaffees aus der ganzen Welt und habt euch inzwischen ein festes Partnernetzwerk in den Kaffeeländern aufgebaut. Wie sieht die Zusammenarbeit aus?

Wir arbeiten mit sehr renommierten Produzenten in den unterschiedlichen Ländern zusammen und das sind nicht die „armen Kaffeebauern“, was manchmal suggeriert wird. Unsere Partner sind sehr gut ausgebildete Unternehmer, die ansonsten die Kaffeequalität, die wir einkaufen wollen, gar nicht produzieren könnten, das geschieht nicht aus Zufall. Unsere Partner sind auch häufig in Europa auf den großen Kaffeemessen unterwegs, weil sie dort ihre Kaffees verkaufen möchten oder sie treffen sich mit Röstereien, um ihre neuen Ernten zu präsentieren. 

Der Markt für Spezialitätenkaffee boomt und man muss als Rösterei teilweise froh sein, wenn man überhaupt gute Kaffees bekommt. Das wird oft ganz anders dargestellt: „Die Rösterei hilft dem armen Farmer“ – das stimmt so nicht. Unser Partner in Bolivien hat uns nach vier Jahren Zusammenarbeit überhaupt das erste Mal einen natural aufbereiteten Kaffee verkauft, weil diese Kaffees so stark nachgefragt sind. Das sind Kaffees, die im Einkauf rund 15 Euro pro Kilo kosten. Davor haben wir immer nur honey aufbereitete Kaffees bekommen. 

Wie entsteht eine Partnerschaft? Was ist euch dabei wichtig?

Wir entscheiden uns für einen Partner, wenn wir bei ihm über mehrere Jahre Kaffees bekommen, die uns sehr guten gefallen. In Bolivien haben wir drei Jahre in Folge von der Rodriguez Familie gekauft und werden auch weiterhin Kaffees von ihnen kaufen, weil sie jedes Jahr super Kaffees produzieren. Und wir brauchen einen Importeur, der bei dieser Kaffeefarm einkauft, denn wir kaufen die Kaffees nicht im Ursprungsland ein, sondern immer erst ab Europa.

Am liebsten ist es uns, wenn die Kaffeeproduzenten mehrere Lots anbieten, so dass wir aus fünf bis sechs Lots auswählen können. Es geht dabei um eine Sortimentsvielfalt, wir wollen ja nicht zehn Kaffees im Regal haben, die alle gleich schmecken.

Habt ihr schon Partner in den Anbauländern gewechselt?

Wir haben zum Beispiel viele Jahre in Ruanda mit einer Kooperative aus Huye Mountain zusammengearbeitet. Dieses Jahr hat sie die Zusammenarbeit mit unserem Importeur beendet, weil sie nur noch direkt an die Röstereien verkaufen will. Die Kooperative verdient dadurch deutlich mehr Geld. Wir finden das aber nicht fair gegenüber dem Importeur, der den Kaffee für uns gefunden hat und lange mit der Kooperative zusammengearbeitet hat, sie unterstützt, bekannt und groß gemacht hat. Das finden wir nicht loyal und deshalb bleiben wir bei dem Importeur und suchen zusammen mit ihm einen neuen Kaffee aus Ruanda.

Geht der Trend immer mehr in Richtung Direct Trade?

Kaffee erlebt gerade einen wahnsinnigen Boom, vor allem hochpreisige Kaffees und deswegen gibt es immer mehr Farmen, die direkt verkaufen können. Es gibt immer mehr Superstarfarmen, die weltweit bekannt sind – die bekannteste ist wahrscheinlich die Hacienda La Esmeralda aus Panama. Die kommen mit der Produktion nicht mehr hinterher. Das sind große Unternehmen, die den direkten Verkauf problemlos handeln können.

In Brasilien kaufen wir den Kaffee direkt von der Familie Andrade, Thomas Stehl kümmert sich dann um den Import. In Guatemala arbeiten wir mit einer sehr kleinen Firma zusammen, die direkt von den Kaffeefarmern kauft. Dort beziehen wir den Kaffee von Marcos Morales und Juana Jiminez Vargas, die produzieren im Jahr 20 Sack Kaffee, das ist sehr wenig im Vergleich und sie sind zu klein, um ohne Importeur an die Röstereien zu verkaufen. So gibt es verschiedene Systeme.

Roesttrommel_Rohkaffee

Wie könnt ihr sicher sein, dass ihr von Importeuren die richtigen Kaffees geliefert bekommt?

Wenn eine Kooperative etwa 1000 Mitglieder hat, dann werfen diese nicht alle Kaffeebohnen zusammen, so dass es ein Mischmasch der 1000 Kaffeebauern ist, sondern die Kooperative organisiert eine sehr transparente Daylot Nachverfolgung. In der Erntezeit geben die einzelnen Farmer ihre Kaffees entweder bei der Kooperative oder bei der washing station ab und bekommen dann für ihre Kaffeebohnen eine Trackingnummer, und so kann man die Bohnen über den kompletten Aufbereitungsprozess hinweg verfolgen. Dadurch können wir sicher sein, dass wir genau das Lot eines bestimmten Farmer bekommen. Wenn die Bohnen mehrere Farmer das gleiche Geschmacksprofil haben, werden diese teilweise auch zusammengemischt. Dafür ist dann die Kooperative zuständig.

Wie sieht der Aufbereitungsprozess bei der Kooperative oder der washing station aus?

Der Aufbereitungsprozess beschreibt den Ablauf vom Pflücken der Kaffeekirsche bis zur Trocknung der Bohne. Im Prinzip unterscheidet man zwischen natural aufbereiteten und gewaschenen Kaffees. Bei natural Kaffees wird die Kirsche nach dem Pflücken getrocknet, bis sie rosinenartig ist. Im Anschluss wird das Fruchtfleisch weggequetscht und die Bohnen werden fertig getrocknet.

Bei der gewaschene Aufbereitung kommen die Kirschen zuerst in ein Wasserbecken. Das wird gemacht, um die Floater abzuschöpfen, also die Kirschen, die an der Oberfläche schwimmen. Mit denen stimmt etwas nicht. Die anderen, die zu Boden sinken, fließen weiter in den Entpulper, wo die Fruchthaut und ein Teil des Fruchtfleischs weggequetscht wird. Danach kommen sie in Wassertanks (Fermentationsbecken), damit sich die Reste des Fruchtfleisches auflösen. Nach dem Waschen werden sie getrocknet. Zwischen natural und gewaschenen Kaffees gibt es noch ganz viele andere Aufbereitungsarten, die eine Kombination aus diesen beiden sind.

Eine Zeit lang galten vor allem gewaschene Kaffees ideal für Spezialitätenkaffees. Hat sich das geändert?

Früher hat man die Art der natural Aufbereitung in sehr trockenen Gebieten, wie etwa Äthiopien, gemacht, weil man nahezu kein Wasser braucht. Inzwischen ist in vielen Ländern das modern geworden, da die Kaffeebauern ganz neue Geschmacksprofile erzielen können. In Ruanda gibt es seit ein paar Jahren die natural Aufbereitung, was total ungewöhnlich ist, denn das war bis vor ein paar Jahren dort verboten. Die Regierung wollte die Kaffeebauern schützen, denn durch die gewaschene Aufbereitung kann man viele Fehler und Defekte besser aussortieren und dadurch liefern die Kaffeebauern eine bessere Bohnenqualität, wodurch der Preis für das Produkt steigt. Kaffee ist für das Land eine große Quelle für Devisen. Früher galten natural Kaffees als minderwertig. Inzwischen sucht der Weltmarkt sehr hochwertige natural Kaffees.

Wie lange ist Rohkaffee haltbar?

Nach der Ernte brauchen die Bohnen eine gewisse Ruhezeit, um Feuchtigkeit zu verlieren, aber das findet normalerweise im Anbauland statt. Wenn der Kaffee direkt nach der Ernte importiert wird, dann ist er zu grün und feucht und das schmeckt man auch, dass er noch nicht ordentlich gelagert wurde.

Hochwertige Kaffees kaufen wir für drei Monate ein, in dieser Zeit baut der Kaffee noch nicht ab. Spätestens ab neun Monaten beginnt der Kaffee merklich abzubauen. Dann verschwinden die Säuren und die süßen Aromen. Der Kaffee geht dann ins Bittere und ist nicht mehr balanciert. Eine weitere, klassische Alterserscheinung ist, dass die Kaffees papierig schmecken.

Jedes Land hat einen anderen Erntezeitraum für die Haupternte, so dass wir das ganze Jahr über Kaffees aus den unterschiedlichen Kontinenten geliefert bekommen: Im ersten und zweiten Quartal vor allem aus Afrika und Mittelamerika, im dritten und vierten dann vorwiegend aus Lateinamerika. Deswegen haben wir nie gleich viele Kaffees im Sortiment. Man muss ein bisschen aufpassen, weil manche Länder mehrfach im Jahr verschiffen, aber trotzdem der Kaffee von der gleichen Ernte ist. Deswegen kann es sein, dass man dann Kaffees bekommt, die ein halbes Jahr alt sind. Rohkaffeeeinkauf braucht sehr viel Erfahrung, und wir haben in der Vergangenheit viele Fehler gemacht, aber auch daraus gelernt. Deswegen arbeiten wir mit festen Importeuren und Produzenten zusammen, denn die Kaffees sind unser Aushängeschild und Kerngeschäft.

Wie ist der Ablauf, wenn ihr die Rohkaffes bekommt?

Wir haben mindestens einen neuen Kaffee pro Monat im Sortiment. Es kommen ständig neue Kaffeeproben rein, da wir pro Produzent mindestens zwei Kaffees einkaufen. Die Proben rösten wir hier und vercuppen diese dann im Team von drei bis sechs Personen. Johannes, unser Head of Coffee, ist zusammen mit Stefan, unserem Chefröster, und mir für das Qualitätsmanagement und den Rohkaffeeeinkauf zuständig.

Bei der Sampleröstung hat man meistens nur eine Chance, um zu sehen, in welche Richtung der Kaffee gehen kann, welches Potential der Kaffee hat und das ist entscheidend für den Kauf. Sobald der Rohkaffee im Lager angekommen ist, macht Stefan drei unterschiedliche Röstungen auf dem Produktionsröster. Er röstet seit elf Jahren Kaffees, er hat so viel Erfahrung, dass er dann schon weiß, wie er den Kaffee grundsätzlich rösten muss. Das hängt vom Land ab, der Anbauhöhe und der Varietät. Daraus entwickeln wir gemeinsam das Röstprofil und nähern uns bei jeder Röstung dem idealen Röstprofil an.

Erstellt ihr also für jeden Kaffee ein eigenes Röstprofil?

Wir erstellen für jeden Kaffee sogar zwei Röstprofile: eines für Filterkaffee und eines für Espresso. Wenn wir einen Kaffee sechs Monate auf Lager haben, dann wird er auch so lange überprüft und verändert bis wir zufrieden sind.

Was zeichnet das perfekte Röstprofil aus?

Wir betrachten jede Kaffeesorte individuell und schauen, was wir am interessantesten an dem jeweiligen Kaffee finden. Das versuchen wir dann, durch das Röstprofil zu betonen und möchten dennoch, dass der Kaffee balanciert ist. Ich nenne das: Balance ohne Langeweile. Das kann auch einen „kantigen“ Kaffee ergeben. Wenn dieser Kaffee allerdings zu viel Säure mitbringt, müssen wir sie durch das Röstprofil etwas reduzieren. Deswegen haben wir nie extrem hell geröstet, denn diese Kaffees sind meistens sehr unbalanciert. Früher gab es den Trend, selbst kenianische Kaffees, die generell sehr schwierig für Espresso zu rösten sind, extrem hell zu rösten. Dann schmeckst du beim ersten Schluck eine Zitrussäure, die total adstringierend ist, es zieht dir den ganzen Mund zusammen. Das war nie unser Weg. Wir wollen lieber möglichst viel Süße aus dem Kaffee bekommen.

Roesttrommel_Giesen_Röstmaschine

Einige bekannte Röstereien in Europa bieten Omniroasts an – sie unterscheiden also nicht zwischen Filter- und Espressoröstungen? Warum macht ihr das nicht?

Der Gründer von Aprilcoffee, Patrick Rolf, hat mal in einem Interview erklärt: Er röstet für beide Zubereitungsarten gleich, da es ist viel einfacher ist. Er muss nur einmal rösten, er braucht nur eine Verpackung, nur ein Etikett und nur einen Lagerplatz. Die logistischen Argumente verstehe ich, aber aus der Perspektive der Kaffeequalität verstehe ich es nicht. Keine unserer Espressoröstung würde besser als Filterkaffee schmecken oder umgekehrt. Die Omniroastkaffees finde ich entweder als Espresso oder als Filterkaffee besser, aber mir ist es noch nie passiert, dass beide Zubereitungsarten super sind, entweder ist der Filterkaffee zu dunkel oder der Espresso zu hell geröstet.

Welche Trends beobachtest du momentan in der Kaffeebranche?

Der größte Trend ist das Thema Nachhaltigkeit: Wo kommt der Kaffee her? Wie wird er angebaut? Wo kommt die Verpackung her? Wie wird diese produziert? Verwendet die Firma Ökostrom? Und das betrifft sowohl die Kaffeefarmen als auch die Röstereien. Jeder zweite Beitrag von Rösterkollegen in Onlineforen handelt von Nachhaltigkeit. Die Nachfrage wird immer mehr von der Kundenseite her aufgeworfen.

Ein weitere Entwicklung ist die kontrollierte Fermentation beim Aufbereitungsprozess. Das ist ein spannendes Thema, weil extreme Dinge passieren. Bei der anerobic fermentation wird aus den Wassertanks die Luft rausgezogen. Oder es werden andere Bakterien oder Hefen zugesetzt. Das kann man sehr gut kontrollieren und führt zu ganz neuen Geschmacksbildern. Allerdings finde ich, dass das nur begrenzt massentauglich ist. Die meisten Kaffees, die dabei entstehen, eignen sich eher, um auf eine Baristameisterschaft zu gehen. Die Kaffees sind oft extrem teuer und nicht alle halten ein, was sie versprechen.

Wird Kaffee immer teurer?

Nein. Der Standardkaffee wird nicht teurer, den konnte man schon immer für zwei Euro pro Kilo aus Brasilien einkaufen, das geht immer noch, aber es gibt immer mehr teure Kaffees. Der Markt an hochpreisigen Kaffees wächst immens. Es gibt immer mehr Nachfrage nach hochpreisigen Kaffees. Wir geben gerne viel Geld für gute Kaffees aus, es sind aber auch viele Kaffees auf dem Markt, die sind sehr teuer und es ist nicht plausibel, warum die Kaffees so teuer sind.

Brasilien hat sehr lange versucht, sehr saubere Kaffees zu produzieren, jetzt haben sie festgestellt, dass der Trend zu „alkoholischen“ Kaffees geht, die nach Whiskey oder Rum schmecken, was kontrolliert sehr schwierig machbar ist, da sie sehr stark überfermentiert werden müssen. Aber diese Kaffees bringen sehr viel Geld, deswegen probieren das viele Farmer und verlangen deutlich mehr Geld dafür. Dabei können tolle Kaffees rauskommen, das kann aber auch mächtig daneben gehen. Verkaufen tut sich jedenfalls fast alles. Das muss jede Rösterei selbst entscheiden. Im Kaffee entkoppelt sich immer mehr objektive Qualität und Preis – was aber bei Wein, Whiskey und Fleisch nicht anders ist.

Was macht für dich einen Spezialitätenkaffee aus?

Die Kaffeevereinigung SCA definiert einen Spezialitätenkaffe so: Er muss beim beim Cupping (Verkosten) mindestens 80 von 100 Punkten erreichen, aber was diese 80 Punkte wirklich bedeuten, das muss jeder für sich entscheiden. Ich würde nicht sagen, dass es automatisch ein Spezialitätenkaffee ist. Ich unterscheide zwischen einem qualitativ hochwertigen Kaffee, dafür gibt es von der SCA ganz objektive Bewertungskriterien, und einem Kaffee, den ich gerne trinke. Das sind zwei unterschiedliche Dinge. Ich trinke sehr gerne sauber aufbereitete natural Kaffees mit viel Süße und fruchtigen Aromen. Das muss nicht zwingend ein Ninety Plus Coffee sein.

Nur einen ausgewählten Teil unseres Sortiments würde ich als Spezialitätenkaffee bezeichnen. Aber gleichzeitig mache ich mit unseren klassischen Kaffeemischungen auch viele Kaffeetrinker glücklich und dann geht es nicht mehr um meine Lieblings- oder um Spezialitätenkaffees, sondern um den subjektiven Kundengeschmack.

Roesttrommel-Cafébar