Das Tisane: Fine Dining neu interpretiert

Koch René Stein und Sommelière Martina Prenn im Interview
Text: Andreas Obermann Photos: Andreas Obermann, Thorsten Kleine Holthaus
„Je älter ich werde, umso reduzierter und fokussierter werden meine Gerichte. Der Gedanke ist, wegzugehen vom klassischen Menüaufbau. Ein Gang muss nicht zwingend aus drei unterschiedlichen Komponenten bestehen. Wir wollen kein klassisches Tellergericht servieren - ein Gang kann auch mal nur eine Komponente mit einer Jus sein.“
René Stein
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Als ihr vor 1,5 Jahr eröffnet habt, war eines eurer großen Ziele, eine Auszeichnung im Guide Michelin zu bekommen.

René: Seit April haben wir den Stern, was eine tolle Bestätigung für das gesamte Team ist.

Martina: Eine Auszeichnung im Guide Michelin ist immer etwas ganz Besonderes. Wir haben hart darauf hingearbeitet und als der Stern verliehen wurde, fiel uns allen ein Stein vom Herzen. Nun gilt es, den Stern aufrechtzuerhalten.

 

Hat sich seitdem der Druck erhöht?

René: Nein, unser Anspruch an Qualität und Service ist nach wie vor sehr hoch und unverändert geblieben. Die Auszeichnung im Guide Michelin kam auf eine organische Art und Weise zustande und wir möchten, dass es so weiterläuft, dann macht es uns auch weiterhin Spaß. Das Halten des Michelin-Sterns ist unser tägliches Brot.

 

Haben sich deine Menüs seit der Eröffnung weiterentwickelt?

René: Der Fokus beim Kochen bleibt immer gleich, aber wir haben inzwischen 3 bis 4 neue Signature Dishes kreiert. Das sind Gerichte, die wochen- oder monatelang im Menü laufen und die Gäste total darauf abfahren.

Essen im Tisane

Hast du ein Beispiel?

René: Etwa das Kohlgericht vom Winter. Es ist komplett vegetarisch und besteht als Hauptkomponente aus einem fermentierten Spitzkohl, der geröstet wird. Dazu servieren wir Wirsing-Chips, Grünkohl und fermentierten Weißkohl, zusammen mit einer Butteremulsion aus Dill und Dillöl. Es klingt nach einer komischen Kombination, wenn man es hört, aber wenn man es sich auf der Zunge zergehen lässt, ist es richtig geil. Das Gericht wird auf jeden Fall wieder kommen.

 

Wie bist du auf das Gericht gekommen?

René: Im vergangenen Oktober haben wir angefangen, mit dem Kohl zu experimentieren. Zuerst haben wir den rohen Chinakohl geröstet, da wir unbedingt ein Gericht damit machen wollten, allerdings hat es nie wirklich gepasst. Erst als wir den Kohl fermentiert und dann geröstet haben, bekamen wir eine bestimmte Geschmackstiefe. So haben wir es Stück für Stück aufgebaut.

 

Wie oft wechseln die Gerichte des Menüs?

René: Wie sich das so ergibt. Ich würde mich selber in eine bestimmte Box schieben, wenn wir alle zwei Wochen ein neues Gericht kreieren müssten. Mit Zwang funktioniert das bei mir nicht, das passiert hier im Tisane beim Kochen, oder wenn ich über den Markt laufe, oder beim Fahrradfahren. Die Menügestaltung ist intuitiv und es muss sich einfach gut anfühlen, wenn wir einen neuen Gang servieren.

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Martina, du bist seit Juli 2022 Teil des Teams. Wie bist du zum Tisane gekommen?

Martina: Ich komme hier aus der Region, habe allerdings während den vergangenen vier Jahren in Österreich gearbeitet – auch in einem Chef’s Table Restaurant. Ich habe damals schon die Foodszene in Nürnberg beobachtet, und ich muss sagen, dass sich viel getan hat. Als ich dann im Urlaub hier war, bin ich auf die Stellenanzeige vom Tisane gestoßen und habe mich daraufhin beworben.

 

Wie war dein Werdegang?

Martina: Ich arbeite nun seit 21 Jahren in der Gastronomie. Meine Ausbildung zur Hotelfachfrau habe ich in Erlangen absolviert. Anschließend war ich fünf Jahre in der Schweiz und habe mich auf verschiedene Servicestile spezialisiert. Nach einem Weinseminar wurde ich vom Thema Wein begeistert. Nach meinem Sommelière-Studium an der Académie du Vin in Zürich, bin ich anschließend zurück nach Deutschland, um zusätzlich meinen IHK Sommelière an der Wein- und Sommelière-Schule in Koblenz zu absolvieren.

 

Wie würdest du die Weinkarte des Tisane beschreiben?

Martina: Mit unserer Weinkarte kann ich sehr flexibel und dynamisch arbeiten und so die Weinbegleitung an das jeweilige Menü anpassen. Ständig kommt etwas Neues in unser Weinregal. Mit einem großen Weinkeller tendiert man eher dazu, Weine nachzubestellen oder Jahrgänge auszubauen. Im Tisane möchten wir den Gästen etwas präsentieren, was sie noch nicht kennen, ohne sie dabei gleich zu überfordern.

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Wie schwierig ist es, die passenden Weine zum Menü zu finden?

Martina: Ich probiere das Gericht und sofort fängt ein Prozess in meinem Kopf an, so dass ich dann genau weiß, welche Wein-Stilistik dazu passt. Anschließend überlege ich mir eine kreative Begleitung und gehe bei den Weinhändlern auf die Suche. Ich bestelle die Weine und probiere sie aus. Dabei kann ich auf meine langjährige Erfahrung zurückgreifen.

 

Inzwischen haben auch andere Spitzenköche im Tisane bei sogenannten Four-Hands-Dinnern gekocht.

René: Das waren immer großartige Erfahrungen, da sich an solchen Abenden ein ganz anderer Flow entwickelt und wir die doppelte Power haben. Wir bestäuben uns gegenseitig und ich kann aus solchen Abenden immer etwas mitnehmen. Es ist großartig, mit anderen Köchen zusammenzuarbeiten, die ähnlich denken wie wir, aber ihre eigenen Herangehensweisen und Stilistiken haben. Für die Gäste ist es eine fantastische Möglichkeit, zwei verschiedene Kochstile in einem Menü zu erleben. Sie können beiden Teams über die Schulter schauen und sie mit Fragen löchern. Bisher waren Juan Amador, Robin Pietsch, Edip Sigl und Darren Teoh bei uns.

Dieses Jahr ist das Tisane Team auch auf Reisen: Ende Oktober werden wir im Restaurant Dewakan in Malaysia kochen und Ende September auf der Rolling Pin Convention in Berlin.

 

Wie sieht ein typischer Abend im Tisane aus?

René: Ab 18.30 Uhr sind wir auf Stand-by, um die Gäste begrüßen zu können und dann geht es schon los mit einem Aperitif und ein paar Snacks. Sobald alle Gäste sitzen, gehen wir in den Showmode – wir haben extra eine Lichteinstellung für das Dinner. Insgesamt servieren wir 14 Gänge, wobei die Snacks und das Dessert relativ geballt kommen.
Der Gedanke ist, wegzugehen vom klassischen Menüaufbau. Ein Gang muss nicht zwingend aus drei unterschiedlichen Komponenten bestehen. Wir wollen kein klassisches Tellergericht servieren, ein Gang kann auch mal nur eine Komponente und mit einer Jus sein.

Je älter ich werde, umso reduzierter und fokussierter werden meine Gerichte. Das kam bei mir mit der Zeit und Erfahrung. Vor 15 Jahren wollte ich noch 6-7 Komponenten auf einem Teller haben, inzwischen habe ich eine andere Herangehensweise. Ich finde es inzwischen viel schöner, wenn man einen Stöhr nur mit einer Austern-Velouté serviert. Der Fokus liegt dann auf dem Fisch, der muss natürlich eine top Qualität haben und die Soße ist wie ein warmer Mantel drumherum.

 

Ist ein Abend im Tisane immer gleich oder immer anders?

René. Beides. Unsere Abläufe sind immer gleich, der Vibe ist immer anders. An einem Abend ist richtig Stimmung in der Bude, dann hört man die Musik im Hintergrund fast gar nicht mehr. Am nächsten Tag ist es ein ruhiger Pärchenabend.
Martina: Bei uns können die Gäste den Abend so genießen, wie sie möchten.

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Euer Tresen, die Keramiken, das Handwaschbecken: Im Tisane wirkt alles sehr natürlich, aber auch ein bisschen rough.

René: Vor der Eröffnung hatte ich ein Meeting mit unserem Architekten Slavis von mekadoarchitekts und habe ihm meinen Küchenstil erklärt: Von roh zu fein. Aus rohen Kartoffeln, Karotten, Fisch entstehen feine Gerichte. Der Gastraum und die Keramiken spiegeln das mit ihren natürlichen Materialien wider. Es ist fast alles handgemacht und zeigt teilweise noch den Entstehungsprozess.

 

René, gab es einen Moment in deiner Laufbahn, der alles verändert hat?

René: In meinem zweiten Lehrjahr habe ich von meinem damaligen Lehrmeister das Buch „Geheimnisse aus meiner 3 Sterne Küche“ von Dieter Müller geschenkt bekommen. Davor war kochen für mich schon cool, aber auch noch ein Nebending, ich wollte lieber noch skaten und fechten.
Mit dem Buch habe ich Feuer gefangen: die Kochtechniken, die Tellersprache, Menüs – das war alles für mich neu. Kochen wurde dann zu meiner Karriere. Dadurch hatte ich etwas zum Festhalten, woran ich mich hochziehen konnte. Seitdem gebe ich alles.

 

Könntest du dir vorstellen, nicht mehr in einem Restaurant zu arbeiten?

René: Es gab einen Moment, da wurde mir alles zu stressig. Der Arbeitsdruck in dem 3-Sterne-Restaurant, in dem ich damals gearbeitet habe, war sehr hoch, dort ging’s richtig rund. Als Koch hast du jeden Tag eine Deadline, wir müssen jeden Tag liefern und unsere Leistung bringen. Dabei hilft mir meine Disziplin, die ich aber erstmal lernen musste. Inzwischen kann ich mir keine schönere Arbeit als Kochen vorstellen.