Wenn aus Wachs Kunst wird

Interview mit der Fürther Künstlerin Inge Gutbrod
Text: Andreas Obermann Photos: Andreas Obermann
Wachs ist für mich ein faszinierender Werkstoff, dem ich höchst unterschiedliche Formen und Inhalte geben kann.
Inge Gutbrod
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„Mich interessiert das Phänomen der Transluzens, wie das Stephen Wright in einem Katalogtext über meine Arbeiten sehr treffend bezeichnet hat (Die Dialektik der Transluzens, 2006 – kunst galerie fürth). Diesen Schwebezustand zwischen Durchsichtigkeit und totaler Blickdichte. Das Vage, nicht genau Benennbare, das Gefühl von Etwas, das Nachspüren beim Hervorholen einer Erinnerung. Wachs hat genau diesen Charakter – etwas Edles, Feines, Kostbares, seine Oberfläche wechselt von zart glänzend-kristallin zu einer fast stumpfen, opaken, kaum durchdringbaren Oberfläche. Ich mag das Warme, das Weiche, das Geschmeidige des Materials, ich habe es gerne in der Hand, ich mag es, die immer gleichen Handgriffe zu tun und in dieser ständigen Wiederholung in eine meditative Versenkung zu finden, ganz bei mir zu sein. Ich mag das Aneinanderreihen von gleichartigen Teilen, die allmählich zu einem größeren Ganzen wachsen. Jedes einzelne Teil ist handgemacht, individuell und ich belasse seinen Charakter. Beispielsweise greife ich genau dann nicht ein, wenn beim Erkalten der Oberfläche diese spezifische Strukturen entstehen. Ich beschneide oder verändere sie nicht und es bereitet mir immer wieder Freude, Sehgewohnheiten umzukehren oder in Frage zu stellen…“

Du hast Freie Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg studiert. Seit über 30 Jahren bist du als freischaffende Künstlerin tätig und arbeitest hauptsächlich mit Wachs. Wie bist du zum Wachs gekommen?

Während des Studiums habe ich mich hauptsächlich mit Farbe und deren Wirkungsweise auf unterschiedlichen Malgründen auseinandergesetzt. Davor hatte ich schon gerne dreidimensional gearbeitet. Am Ende meines Studiums war ich an einem Scheidepunkt angelangt und dachte mir, dass es die Fläche alleine nicht ist und ich wieder zurück zum Raum will. Eines Tages war einfach ein Stück Wachs da und es hat mich total gepackt, mit dem Material tiefer einzusteigen und ganz unterschiedliche Arbeiten herzustellen — den Raum wieder zu erobern.

Was fasziniert dich an diesem Material?

Wachs ist ja eigentlich in der klassischen Bildhauerei nicht wirklich sichtbar, da es als Zwischenmaterial bei Gussverfahren verwendet wird. Mir gefällt der Gedanke, dieses Material sichtbar zu machen. Mir gefällt auch der Gedanke, etwas zu schaffen, das einerseits monumental wirkt, aber gleichzeitig auch höchst fragil ist: Es ist geradezu unsinnig aus Wachs Räume zu bauen (lacht). Ich mag auch den Gedanken, dass man achtsam damit umgehen muss.

Ich mag die Vielseitigkeit von Paraffin, seine unterschiedlichen Oberflächen und dass ich es auf sehr unterschiedliche Arten verwenden kann: Ich kann es schmelzen, mit Pigmenten färben und neue Formen daraus gießen (Leuchtkästen aus Wachsquadraten oder aus einer Wachsscheibe, Zylinder), ich kann flüssiges Wachs über Papier gießen (Schüttungen) oder ich kann Wachsplatten so bearbeiten, dass ich sie in Eisengerüste montiert zu Raumskulpturen zusammenbaue (begehbare Wachsräume), um nur ein paar Beispiele zu nennen. Wachs wirkt leicht und lichtdurchlässig, tatsächlich ist es aber sehr schwer und ich reize gern die Grenzen des Machbaren aus.

Du hast für das Hotel Karl August einen Vorhang aus Wachs modelliert. Wie war dein Konzept?

Für die Rezeption sollte ich eine Arbeit entwickeln, die das dahinter liegende Büro von der Lobby optisch abtrennt, aber dennoch Licht durch die Glasscheibe lässt.
klicker-di klick hka21r besteht aus 35 Wachsketten und 5 bedruckten transparenten Stoffbahnen in gleicher Länge. Für die Wachsketten habe ich Wachsscheiben (Durchmesser 5,5 cm) in der Mitte durchbohrt und auf ein Seil gefädelt. Jede der Wachsscheiben liegt auf einem Knoten. Die Zwischenräume sind mit weißer Knete gefüllt. Ca. 60 Wachsscheiben fügen sich zu einem Strang. Diese zentnerschweren „echten“ Wachsketten hängen im Wechsel mit Wachsketten, die auf federleichte, transparente Stoffbahnen gedruckt sind – ein kontrastierendes Zusammenspiel, das der Installation sowohl Leichtigkeit als auch Dynamik verleiht. Dies umso mehr als ich bei der Anordnung der Wachsketten und Stoffbahnen das Fibonacci-Prinzip nicht streng aufsteigend angewendet habe, sondern mit 13/5/8/5/1 einen spielerisch-lockeren Rhythmus gewählt habe.

Lobby Karl August
Foto: David Rasche

Warum hast du nicht nur Wachs verwendet?

Das wäre so schwer geworden, dass das keine Konstruktion hätte heben können. Außerdem finde ich den Wechsel der unterschiedlichen Materialien sehr spannend. Wenn die Hotelmitarbeiter hinter der Rezeption vorbeilaufen, dann bewegt sich durch den Luftzug der Stoff, das Wachs allerdings nicht. Es ist immer ein schöner Moment, wenn Bewegung in den Vorhang kommt.

Wie war der Prozess des Hängens?

Zuerst mussten wir an der Decke noch Verstärkungen anbringen, denn das Wachs wiegt wirklich viel. Diese scheinbare Leichtigkeit bildet aber einen stimmigen Kontrapunkt zum dunklen Holz dort. Gleichzeitig findet sich die Kassettierung des Holzes in meinen Reihungen wieder und die Strenge der Wachsscheiben ist wie eine Art Rasterung – ähnlich wie beim Holz. Das passt sich unglaublich schön ein und ergibt eine wunderbare Symbiose, wie ich finde.

Welche Rolle spielt Licht bei deinen Arbeiten?

Licht ist etwas, das man nicht greifen kann, das sich ausdehnt. Wenn ich es mit einem Wachsobjekt einfange, beispielsweise einen farbigen Wachszylinder um eine Lichtquelle herumbaue, dann beginnt das Wachs in seiner Farbigkeit zu leuchten. Das finde ich großartig. Für mich ist Licht direkte Emotion und damit möchte ich arbeiten.

Du benutzt unterschiedliche Wachsfarben. Färbst du das Wachs selber?

Ja. Es gibt spezielle Pigmente, mit denen ich das Wachs färben kann.

Welches Wachssorten benutzt du?

Ich verwende Paraffine, die unterschiedliche Schmelzpunkte haben.

Wie lange bist du schon in Fürth?

In Fürth habe ich mein Atelier seit 1990 und seit 1992 wohne ich hier auch. Ich bin der Region sehr verbunden, würde mich als eine fränkische Pflanze mit Oberpfälzer Wurzeln beschreiben. Ich liebe es, hier zu leben, denn die Arbeitsbedingungen sind gut, die Lebenshaltungskosten erschwinglich und die Community kennt sich untereinander. Da Franken aber nicht gerade der Nabel der Kunstwelt ist, bin ich auch gerne auf Stipendien und Ausstellungen außerhalb von Mittelfranken anzutreffen.

Der Kunstbetrieb lag durch Corona zwei Jahre still. Wie hast du diese Zeit erlebt?

Ich muss sagen, ich hatte totales Glück. Ich konnte alle meine Ausstellungen wahrnehmen, nichts wurde verschoben oder abgesagt. Dazu hatte ich als Bildende Künstlerin das Privileg, nach wie vor arbeiten zu können, nicht so wie die Schauspieler oder Musiker, die gar nicht mehr auftreten konnten. Auch trotz der nächtlichen Ausgangssperre konnte ich jederzeit in mein Ateliergehen – das fühlte sich gut an.

Ich habe während Corona wahnsinnig viel gearbeitet und diesen Stillstand, der im Außen herrschte, für mich genutzt, um meine künstlerische Arbeit voranzubringen. Schmerzlich gefehlt hat mir aber der Austausch mit Kollegen und dass ich keine Ausstellungen besuchen konnte. Die Lebensqualität war schon sehr eingeschränkt. Dadurch ist mir viel bewusster geworden, auf was es mir im Leben ankommt: meine Familie, gute Freunde, mein Atelier in Laufweite, meine Wohnung und mein Balkon als Rückzugsorte…

Was sind deine nächsten Projekte?

Dieses Jahr werde ich anlässlich meines 60. Geburtstages eine große Einzelausstellung mit dem Titel Take a bath in my light-soaked bodies in der Kunsthalle Schweinfurt haben – in der Großen Halle, vom 10.11.2023 bis zum 28.1.2024.

Inge Gutbrod